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Themenwelten Hamburg
Alles öko oder was? Mit der Elektro-Enduro durch Europas größtes Obstanbaugebiet. Eine Geschichte über die neue Entdeckung des Alltäglichen.

Zero DSR: Mit dem Motorrad der Zukunft durch das Alte Land

Mit dem Elektro-Motorrad im Alten Land: Dennis Ciminski auf der Zero DSR zwischen Apfelbäumen

Wie ein Relikt aus vergangenen Tagen liegt das alte Kernkraftwerk Stade eingebettet zwischen Apfelbäumen und der Elbe. Was hier vor mehr als 40 Jahren als Zukunftstechnologie gefeiert wurde, stellt die Menschheit heute vor noch ungelöste Probleme. Wohin mit dem Atommüll, der nach dem Rückbau noch Tausende Jahre vor sich hin strahlt!?

Überall an der Küste, wo immer eine steife Brise zu wehen scheint, schießen dafür heute Windräder wie Pilze aus dem Boden. Wie stählerne Monolithen ragen die über 100 Meter hohen Säulen in den Himmel und sorgen mit ihren riesigen Rotoren für die Energie, die unsere Zero DSR antreibt.

Rund 120 Kilometer Reichweite verspricht der Hersteller für seine Reise-Enduro-ähnliche Maschine. Zum Glück habe ich gestern den Stecker über Nacht eingesteckt – die Ladestandsanzeige steht bei 100 Prozent. Und so machen meine bessere Hälfte und ich uns an einem schönen Sonntagnachmittag auf den Weg in Richtung Osten. Wir wollen unsere „Hausstrecke“ einfach mal anders erfahren.

Ohne den typischen dumpfen Klang meiner Africa Twin setzt sich das kleine Motorrad in Bewegung. Die ersten 10 Kilometer sind für Nina etwas ungewohnt, so vehement beschleunigt das E-Bike.

Vorbei an Stade, immer entlang des Schwingedeichs biegen wir auf kleine verwinkelte Straßen ab. Bereits direkt hinter der Stadtgrenze erblickt man hier die ersten Apfelbäume, die sich wie die Krieger der chinesischen Terrakotta-Armee aneinanderreihen.
 

Einmal kurz mit dem umweltfreundlichen E-Motorrad auf den Deich und über die Elbe in die Ferne blicken ... 
Einmal kurz mit dem umweltfreundlichen E-Motorrad auf den Deich und über die Elbe in die Ferne blicken ...

 

Leider ist die Kirschblüte schon vorbei, sonst wäre es hier ein spektakulärer Anblick – aber die bereits vollendete Kirschblüte hat den Vorteil, dass wir genau richtig da sind, um unser hart verdientes Geld in einem der vielen Hofläden zu lassen. So findet ein Kilo der berühmten Altländer Knubberkirschen seinen Weg in unsere Koffer.

Was gibt es bei einem solchen Wetter Herrlicheres als sich einfach auf den Deich zu setzen, den Möwen beim Segeln zuzusehen, und den Containerriesen hinterherzuschauen, wie sie brummend die Elbe in Richtung Nordsee hinunterschippern, um ihre Ladung in die weite Welt zu transportieren. Dabei findet die ein oder andere rote Frucht direkt den Weg in den Magen.

Wie redet man „Benzin-Gespräche“ wenn man ein Elektro-Motorrad fährt?

So zieht die Elbe meine Gedanken an die weite Welt in ihren Gezeitenstrom entlang des Deiches, den wir immer weiter Richtung Hamburg begleiten. Wir biegen links ab, um dem hiesigen Motorrad-Treff einen kurzen Besuch abzustatten und zu schauen, welches der vielen bekannten Gesichter heute mal wieder „Benzin redet“. Ob „Benzin reden“ auch heute für uns gilt? Wie redet man „Benzin“ mit einem Elektro-Motorrad? Immer wieder kommen dieselben Fragen? „Wie schnell?“, „Ist die Beschleunigung wirklich so wie alle sagen?“

Das Gespräch unterscheidet sich aber von „normalen“ Motorradgesprächen in drei Fragen: Wie ist die Reichweite? Wie lange musst du laden? Fehlt da nicht der Sound? Immer wieder verweise ich auf den Einsatzzweck des Motorrads und gebe zu verstehen, dass es besser ist, als viele vielleicht erwarten.

Und wenn das Thema Reichweite und Ladezeit einen Schritt nach vorne machen würde, so sind sich alle „Fachleute“ einig – wäre ein E-Motorrad eine echte Alternative zum Moped in der heimischen Garage. Mit so viel Zuspruch geht es für uns weiter in Richtung Hamburg. Kurz vor dem Airbus-Werk in Finkenwerder stibitzen wir uns noch einen leckeren Apfel der besonderen Sorte Boskop, für den das Alte Land berühmt ist. Jedes Mal wieder ist der erste Biss in diesen überaus sauren Apfel ein besonderes Erlebnis für die Geschmacksnerven.
 

GRAFIK: FH
GRAFIK: FH

Aber an einem warmen Tag wie heute kommt die erfrischende Wirkung des kleinen Säuerlings gerade recht. Ich denke, dass der Bauer den Verlust eines seiner Äpfel bei der Anzahl der Bäume hier sicher verschmerzen kann.

Erfrischt biegen wir kurz hinter der Sietas-Werft rechts ab und nehmen eine der kurvenreichsten Strecken der ganzen Gegend unter die Räder. Getragen von einer Woge aus Drehmoment schrumpfen die Geraden entlang des Estedeichs zwischen Cranz und Königreich auf ein winziges Format.

Wer hätte gedacht, dass hier im Norden überhaupt Kurven zu finden sind. Und so erreichen wir mit kleiner werdendem Angststreifen Jork – die inoffizielle „Hauptstadt“ des Alten Landes. Kaum ein Name ist in Deutschland so sehr mit Obstanbau verbunden wie der Name der Gemeinde an der Elbe.

Jork beherbergt nicht nur eine Obstforschungsanstalt, sondern ist auch Ort für viele Veranstaltungen, die sich über das ganze Jahr verteilen. Aus den Veranstaltungen, wie Jorker Obstbautage, dem Tag des offenen Hofes oder dem Wikingermarkt, sticht besonders das Blütenfest heraus, dass sich immer am ersten Maiwochenende wiederholt.

Zu dieser Zeit ist es im Alten Land besonders schön – denn im Mai herrscht hier die Kirschblüte und die Kirschbäume scheinen geradezu um die Gunst der Touristen zu buhlen. Doch was im Mai für Bewunderung bei den Touristen sorgt – ist für den Motorradfahrer eher nervig als angenehm. So kommen jedes Jahr erneut die sogenannten Blüten-Spanner hervor. Und so verstopfen, meist silberfarbene Mercedes-Limousinen, die Hauptstraßen im Alten Land.

Zugegeben, diese Sichtweise ist vielleicht ein wenig komisch, aber wenn ich mir genau überlege, dass ich zu dieser Zeit normalerweise auch im Alten Land unterwegs bin, komme ich zu dem Schluss, eigentlich auch nicht anders zu sein! Aber zum Glück liegt die Kirschblüte bereits Monate zurück und so haben wir freie Fahrt durch den Ort, der mit einer Besonderheit aufwartet, die so in Norddeutschland einmalig ist.

Immer wieder fallen uns die wundervoll gearbeiteten Haustüren der aufwendig verzierten Fachwerkhäuser auf. Damals war es normal, dass die Familien der Grundbesitzer untereinander heirateten. So kam es irgendwann dazu, dass die Verzierung der Türen und insbesondere die Opulenz des Hoftores viel über den sozialen Stand der Familie des oder der Angebeteten aussagten. Die Zeiten haben sich aber geändert und so ist es heute kein Zeichen mehr vom sozialen Stand der Familie, wie aufwendig verziert Tür und Tor heute noch sind. Wenn man sich die Türen aber mal genauer ansieht, so könnte man meinen, dass sich auch hier im Alten Land nicht viel geändert hat.

Kurz hinter Jork liegt der kleine Ort Grünendeich/Steinkirchen, der sich entlang der Lühe erstreckt. Überall auf dem kleinen Deich reihen sich Reetdachkaten aneinander. Wieder wählen wir einen Weg abseits der örtlichen Hauptstraße und entdecken den holländischen Einfluss in der Architektur der kleinen Häuser. Immerhin haben hier im 12. Jahrhundert die Holländer ihre Spuren hinterlassen und gaben diesem Landstrich seinen Namen. Altes Land – entlehnt aus dem Hölländischen „Altland“. Die Nähe zu unseren Nachbarn zeigt neben den ganzen Gräben und Windmühlen vor allem die Hogendiekbrücke, die sich mit ihrem weißen Holzgerüst über die Lühe spannt. Die Nähe zum Wasser haben sich die Holländer also bis heute bewahrt. Und genau wie in Holland, ist der Hochwasserschutz ein elementarer Bestandteil der Elbmarsch. So sind wir froh, dass es auch heute noch Dinge in der Natur gibt, die der Mensch mit allen Maschinen nicht besser machen könnte.

Eine Alltagstour mit einem nicht ganz alltäglichen Motorrad

Die grasenden Schafe auf dem Deich flüchten nicht, als wir ihnen einen Besuch abstatten. Das Surren des Elektromotors scheint auf die schreckhaften Wollknäuel keine Wirkung zu haben und so grasen die sanftmütigen Tiere einfach weiter seelenruhig vor sich hin. So spart sich die Gemeinde den Rasenmäher für den Deich und der Deich wird auch noch von den Tieren immer wieder verdichtet. So haben Mensch und Tier hier ihren Frieden miteinander gefunden.

„Wie viele Elektro-Rasenmäher man mit dem Strom aus den Leitungen im Hintergrund wohl betreiben könnte?“ oder besser noch wie viele Akku-Ladungen die Zero hier wohl füllen könnte!? Mir schießt nur das Wort induktives Laden durch den Kopf – aber bis dahin ist es wohl noch ein langer Weg. Mindestens genauso lang wie der Weg zurück zur grünen Wiese des abgeschalteten Atommeilers, den wir auf unserem Weg zurück nach Stade erneut passieren. Hier wird es wohl nie wieder etwas mit meiner Vorstellung vom induktiven Laden.

Nach einer eigentlich alltäglichen Tour mit einem nicht ganz alltäglichen Motorrad wir des für uns aber noch einmal Zeit die eigenen Akkus zu laden. In Stade lassen wir den Tag typisch norddeutsch bei einem alkoholfreien Weizen ausklingen und genießen ein wenig das bunte Treiben der alten Hansestadt, die einst ein wichtiger Hafen der Hanse war.

Hier am alten Hafen reihen sich gemütliche Cafés und Restaurants aneinander und lassen uns die Atmosphäre der alten Hansestadt erfahren. Dabei sind wir in unserer Heimatstadt und alles kommt uns sehr vertraut und bekannt vor – und dennoch ist etwas anders.

Vielleicht fehlt beim gemütlichen Ausklang einer solchen Tour doch ein wenig der Sound des guten alten Verbrennungsmotors, aber vielleicht bekommt das Elektro-Zeitalter das auch noch hin? DENNIS CIMINSKI
 

Infos zur Region

Geografie: Das Alte Land ist flach – sehr flach. Berge oder dergleichen sucht man hier vergebens. Fast das gesamte Alte Land befindet sich auf Meereshöhe oder teils noch darunter. Die höchsten Erhebungen hier sind die Deiche, die für die Landschaft an der Unterelbe von enormer Bedeutung sind – so schützen die fast neun Meter hohen Deiche das gesamte Alte Land vor den alljährlich auftretenden Sturmfluten im Herbst und Winter.

Obstanbau: Berühmt ist das Alte Land für seinen Obstanbau. Es ist das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas und erstreckt sich von der Hamburger Stadtgrenze bis nach Stade. Auf rund 10.700 Hektar reifen heute vor allem Äpfel und Kirschen. Über 75 Prozent der Bäume sind Apfelbäume, ca. 12 Prozent der Bäume sind Kirschen. Besonders zur Kirschenzeit lohnt sich ein Halt an einem der vielen Verkaufsstände.

Motorradfahren: Auch wenn es keine Berge gibt, so liegt der Reiz des Alten Landes in den kleinen Nebenstraßen. Gerade die kurze, aber prächtige Kirschblüte bietet ein reizvolles Bild. Womit wir überleiten zum …

… Phänomen „Blüten-Spanner“: Gerade zur Kirschblüte Anfang Mai kann man sie immer wieder beobachten. Die einheimischen Motorradfahrer nennen Sie gerne „Blüten-Spanner“. Fahrer meist silberner Mercedes-Fahrzeuge liefern sich einen Wettstreit im Langsamfahren, auf der Suche nach der perfekten Kirschblüte. Da ist man als Motorradfahrer froh über die kleinen leeren Nebenstraßen, die hier etliche Kurven bieten.

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