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Tennis am Rothenbaum

Interview der Davis Cup-Legende und früheren Hamburger Tennis-Coach Niki Pilic über Boris Becker, Michael Stich und Uwe Seeler

Zu Besuch bei der Davis Cup-Legende Niki Pilic. Ein Gespräch über Erlebnisse am Rothenbaum, die mögliche Davis Cup-Reform, Boris Becker, Michael Stich – und Uwe Seeler.

Begegnung zwischen Niki Pilic und Uwe Seeler am Rothenbaum in den 80er-Jahren. In München trainierte Pilic auch Seelers Tochter. Fotos: Witters, Jürgen Hasenkopf
Begegnung zwischen Niki Pilic und Uwe Seeler am Rothenbaum in den 80er-Jahren. In München trainierte Pilic auch Seelers Tochter. Fotos: Witters, Jürgen Hasenkopf
ANDREJ ANTIC      
  
Ein Treffen mit Niki Pilic. In der Becker-Graf-Stich-Ära kannte den Kroaten fast jedes Kind. Dreimal gewann er als Trainer den Davis Cup für Deutschland (1988, 1989, 1993). 2005 siegte er als Coach mit Kroatien, 2010 als Berater für das serbische Team. Man muss ein bisschen reisen, um mit dem 78-Jährigen persönlich zu sprechen. Vor ein paar Jahren zog Pilic mit seiner Frau Mia von München, wo er 34 Jahre lebte, ins beschauliche Seebad Opatija an der kroatischen Riviera („eine der besten Entscheidungen meines Lebens“). Es ist Pilics Altersitz. Wobei: Von Ruhestand kann beim „Preussen vom Balkan“ keine Rede sein. Pilic, der bis Ende 2016 als Berater beim DTB fungierte, sieht für sein Alter erstaunlich drahtig aus. Vier Stunden täglich steht er beim TC Opatija auf dem Platz, sechs Tage die Woche. „Nur am Sonntag gehe ich in die Kirche.“

Herr Pilic, Sie waren als Spieler und Coach in Hamburg. Wie sind Ihre Erinnerungen an die Hansestadt?

Ich habe mehrere Jahre in Hamburg gespielt und war überrascht, wie viele Zuschauer immer auf die Anlage kamen. Hamburg hat eine große Tradition und ist immer noch ein großes Turnier. Ich habe dort leider nie besonders gut gespielt. 1968 habe ich im Halbfinale gegen John Newcombe verloren. Gegen Roy Emerson hatte ich ein paar Jahre früher zwei Matchbälle und gab die Partie noch ab. Einmal schneite es beim Turnier und trotzdem schauten 6.000 Leute zu.

Welche Bedeutung hatte das Turnier damals für die Spieler?

Eine sehr große. Zu Beginn meiner Karriere, in den frühen 60er-Jahren, haben Stars wie Rod Laver dort aufgeschlagen. Auch das Damenturnier in Hamburg war immer toll besetzt. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit Hamburg gemacht, auch als Teamchef war ich oft da. Es war alles perfekt organisiert. Ich habe zehn Jahre als Turnierdirektor der BMW Open in München gearbeitet. Deswegen weiß ich, wieviel Mühe dahintersteckt.

1985, Boris Becker hatte gerade Wimbledon gewonnen, fand der Davis Cup in Hamburg statt. Wie war das damals?

Wir haben Amerika geschlagen. Das war fantastisch, es war eine Menge los. Hans-Jörg Schwaier spielte gegen den viel besser platzierten Aaron Krickstein ein starkes Match, gewann nach vier Stunden und 40 Minuten 8:6 im fünften Satz. Am Ende siegten wir 3:2. Die einzige Sache, die mich ärgert: 1994 traten wir gegen meinen Willen in Hamburg an. Der Platz war schlecht, das Wetter im September war schlecht und wir verloren gegen Russland. In der Halle hätten wir 4:1 oder 5:0 gewonnen. Michael Stich hätte gegen Yevgeny Kafelnikov auf einem schnellen Boden kurzen Prozess gemacht. Aber der DTB hatte jahrelang nicht mehr Davis Cup in Hamburg gespielt und wollte unbedingt dorthin. Das Stadion war gerade neu und es wurde extra ein Hartplatz verlegt. Das Dach kam allerdings erst später dazu.

Erinnern Sie sich an besondere Matches Ihrer Spieler in Hamburg?

Damir Keretic besiegte auf dem Center Court in der ersten Runde Stefan Edberg. Das war ein tolles Match. Aus meiner aktiven Zeit fällt mir ein unglaubliches Spiel meines Freundes Wilhelm Bungert gegen Manuel Santana ein. Ich hatte vorher mit Willi in Hannover trainiert. Er wollte jemanden, der ihn pusht. Bungert hatte sehr viel Talent. Aber er war niemand, der normalerweise viel trainierte. Nach zehn bis zwölf Tagen Training mit mir gewann er das Turnier. Ich glaube gegen Christian Kuhnke im Finale (Anm. d. Red.: Stimmt, 1964 war es).

1995 schlugen Becker und Stich (li.) im Davis Cup-Doppel Kroatien in Karlsruhe. Kapitän Niki Pilic reicht Getränke.
1995 schlugen Becker und Stich (li.) im Davis Cup-Doppel Kroatien in Karlsruhe. Kapitän Niki Pilic reicht Getränke.
Hamburg verlor 2008 den Masters-Status
und damit an Bedeutung. Wie sehen Sie diese Entwicklung?


Der Deutsche Tennis Bund ist einer der größten Verbände der Welt und kein Masters-Turnier zu haben, ist sehr schade. Es ist die Aufgabe von Funktionären, bei der ATP Druck zu machen. Deutschland braucht ein großes Turnier. Es ist bedauerlich, dass Michael Stich nicht schon fünf bis sechs Jahre früher in Hamburg Turnierdirektor sein konnte.

Wie war Ihre Beziehung zu Michael Stich?

Es war schon früh zu sehen, dass er als junger Spieler ein großes Potenzial hatte. Ich gab ihm für das Hauptfeld von München eine Wildcard, als er die Nummer 502 der Weltrangliste war. Danach hatte ich mindestens 20 Anrufe von Spielern, die 250 Plätze vor ihm platziert waren und fragten, warum sie keine Wildcard bekommen haben. Aber ich wollte Michael helfen, weil ich an ihn geglaubt habe. Schade, dass er es 1993 nicht geschafft hat, die Nummer eins zu werden, weil er zu der Zeit der beste Spieler der Welt war. Er hat in dem Jahr sechs Turniere gewonnen, darunter Hamburg, Stockholm und das Masters in Frankfurt. Die Goldmedaille 1992 im Doppel mit ihm und Boris Becker war übrigens ein bisschen meiner diplomatischen Kunst zu verdanken. Es war mein Job als Teamchef, diese beiden unterschiedlichen Spieler zusammenzubringen. Meine Beziehung zu Michael und Boris war immer sehr gut.

Niki Pilic steht in seinem Club in Opatija fast jeden Tag auf dem Platz
Niki Pilic steht in seinem Club in Opatija fast jeden Tag auf dem Platz
1988 gewannen Sie mit Boris Becker zum ersten Mal den Davis Cup. Sie sagten damals, es sei, als könnte man übers Wasser laufen.

Es war unglaublich, weil niemand gedacht hätte, dass Charly Steeb gegen Mats Wilander gewinnen kann. Wilander war die Nummer eins der Welt. Er hatte in dem Jahr Roland Garros gewonnen und wir mussten in Göteborg auf Sand spielen. Wilander hatte noch nie ein Match im Davis Cup verloren. Aber im Finale hat alles gepasst und wir haben 3:0 gewonnen. Ich war sehr glücklich.

Was war Ihr schlimmstes Davis-Cup-Erlebnis?

Die Niederlage in Moskau 1995. Wir führten 2:0 nach den Einzeln und Michael und Boris im Doppel mit zwei Breaks im fünften Satz. Es war das einzige Doppel, das die beiden im Davis Cup verloren haben. Am nächsten Tag lag Michael gegen Andrei Chesnokov zwar einen Satz zurück, gewann die nächsten beiden Sätze aber 6:1, 6:1 und hatte das Match im Griff. Dann kamen die berühmten neun Matchbälle bei eigenem Aufschlag. Er probierte, nach dem ersten und zweiten Aufschlag immer nach vorne zu gehen. Das war ein Fehler. Ich schrie, er solle hinten bleiben. Aber er hat mich leider nicht hören können, weil ich auf der anderen Seite saß und 16.000 Zuschauer im Stadion einen Höllenlärm veranstalteten. Die Niederlage hat den DTB sehr viel Geld gekostet. Das Finale hätten wir in München oder Stuttgart gegen die USA mit Agassi und Sampras gespielt. Mit Stich und Becker wären vier Wimbledonsieger dabei gewesen. Es gab schon 100.000 Ticketanfragen.

Was halten Sie von den aktuellen Reformvorschlägen der ITF, die den Davis Cup an einem neutralen Ort austragen will?

Die Leute, die das wollen, haben keine Ahnung. Wenn der Davis Cup in Singapur stattfindet und Kanada gegen Belgien spielt – wen interessiert das? Wir haben damals 30 bis 35 Turniere pro Jahr gespielt und sind trotzdem im Davis Cup angetreten. Die Topleute heutzutage spielen vielleicht 20 Turniere. Ich weiß, dass es jetzt viel härter ist, weil die Konkurrenz größer ist. Aber wir spielten damals zehn bis zwölf Turniere mehr. Auf den Davis Cup hätten wir nie verzichtet.

Die stolzen Davis-Cup-Sieger von 1993 (vl.): Das Team mit Marc-Kevin Goellner, Niki Pilic, Michael Stich, Carl-Uwe Steeb und Patrik Kühnen besiegte in Düsseldorf im Finale Australien mit 4:1
Die stolzen Davis-Cup-Sieger von 1993 (vl.): Das Team mit Marc-Kevin Goellner, Niki Pilic, Michael Stich, Carl-Uwe Steeb und Patrik Kühnen besiegte in Düsseldorf im Finale Australien mit 4:1
Was kann man tun, um den Wettbewerb interessanter für die Topleute zu machen?

Die Spieler müssen im Davis Cup wieder Weltranglistenpunkte sammeln können. Das wäre ein erster Schritt. Und der Spielplan muss überarbeitet werden. Man kann nicht drei Tage nach den Australian Open ein Davis Cup-Wochenende ansetzen. Die Frage ist auch, wie wichtig es den Spielern ist, für die eigene Nation zu spielen. Warum spielen die Fußballer so gerne für die Nationalmannschaft? Weil man bessere Chancen hat, Verträge zu bekommen, wenn man im Fernsehen zu sehen ist.

Der Davis Cup ist, zumindest in Deutschland, nicht mehr im Fernsehen zu sehen.

Das stimmt. Früher haben sich die Leute gefragt, warum Lothar Matthäus weniger Geld verdient hat als Boris Becker. Boris war damals 193 Stunden pro Jahr im Fernsehen zu sehen. Das ist der Unterschied.

Herr Pilic, Sie stehen immer noch selbst auf dem Platz. Warum?

Ich bin jetzt fast 79 Jahre alt und wenn ich kein Tennis spiele, wird der Tag sehr lang. Ich habe noch zwei Mädchen und einen Jungen, die ich trainiere. Bei dem einen Mädchen bin ich mir sicher dass sie früher oder später international mitspielen wird. Ich bin glücklich, dass Gott mir die Möglichkeit gegeben hat, mich immer noch bewegen zu können. Ich denke, das macht meinen Körper automatisch stärker als den anderer Menschen in meinem Alter.

Wie viele Stunden trainieren Sie?

Morgens vor dem Duschen mache ich jeden Tag Liegestützen, immer 15 Stück. Dann gehe ich auf den Platz. Vier Stunden, jeden Tag. Außer sonntags – da gehe ich in die Kirche.

Es gibt ein Foto am Rothenbaum, das Sie mit Uwe Seeler zeigt. Wie war Ihr Kontakt?

Ich habe die Tochter von Uwe Seeler eine Zeit lang in meiner Akademie in München trainiert. Sie war sehr talentiert. Ich habe auch Uwe mehrere Male getroffen. Er hat selbst kein schlechtes Tennis gespielt. In den späten 80er-Jahren begegneten wir uns, als er Zuschauer am Rothenbaum war.

Haben Sie ihn Fußball spielen sehen?

Nein, leider immer nur im Fernsehen. Er war ein toller Spieler und hat immer alles gegeben. Solche Typen braucht der Sport.

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