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Gütezeichen schaffen Orientierung für umweltkritische Verbraucher – doch Produkte aus recyceltem Plastikmüll brauchen keinen Blauen Engel

Was sind eigentlich „nachhaltige Möbel“?

Nicht nur bei Sofas gilt: Wer in Qualität investiert, kann sich beruhigt zurücklehnen. FIZKES / GETTY IMAGES/ISTOCKPHOTO

Kopfschütteln, Augenrollen, genervte Kommentare: Fällt der Begriff „Nachhaltigkeit“, bemängeln viele fast schon reflexartig seinen „inflationären Gebrauch“. Ob Investments, Lebensmittel, Textilien, Fahrzeuge oder Möbel: Unternehmen jeder Branche adeln mittlerweile einen Großteil ihrer Produkte mit dem Etikett „nachhaltig“, sprich: entstanden unter „wirtschaftlich effizienten, sozial gerechten und ökologisch tragfähigen“ Bedingungen.

Der Hauptgrund für den massenhaften Einsatz des Labels findet sich in einer viel zitierten Studie der Credit Suisse: „Die Entwicklung nachhaltiger Prozesse und Produkte wird belohnt – und zwar auch von der Konsumentenseite: Wer hier ein entsprechendes Angebot liefern kann, ist klar im Vorteil.“ Das hat offenbar auch die Möbelbranche beherzigt. „Gütesiegel“ als Beleg für nachhaltige Produktion sind hier so verbreitet wie der Nachhaltigkeitsbegriff selbst.

Zu den bekanntesten dieser „Labels“, an denen sich Verbraucher beim Kauf orientieren sollen, zählen das „Goldene M“ der Deutschen Gütegemeinschaft Möbel e. V. (DGM), das mittlerweile rund 130 Möbelhersteller und Zulieferbetriebe aus dem In- und Ausland tragen dürfen. Zu den Prüfkriterien zählen aktuelle Qualitäts-, Umwelt- und Emissionsstandards sowie die Haltbarkeit, Stabilität und Fertigungsqualität der Produkte.

Auch das Umweltzeichen „Blauer Engel“ sowie die Label FSC (Forest Stewardship Council) oder PEFC (Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes) sollen auf unbedenkliche Holzmöbel hinweisen. Zu den PEFC-zertifizierten Herstellern zählt beispielsweise die dänische Firma Montana (www.montanafurniture.com), die zudem mit geruchlosen Lacken auf Wasserbasis arbeitet.

Seit Sommer 2020 gibt es das geografische Herkunftsgewährzeichen „Möbel Made in Germany“. Das vom Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM/www.moebelindustrie.de) und dem Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung (RAL) entwickelte Gütesiegel steht für Qualitätsmöbel aus deutscher Produktion – und damit für kurze Lieferwege, regionale Wertschöpfung und hohe Qualität. „Vor allem Qualität bestimmt die Langlebigkeit eines Produkts und ist damit ein Kernelement des Begriffs Nachhaltigkeit“, sagt VDM-Geschäftsführer Jan Kurth. 


"Eine nachhaltige Gesellschaft entsteht nur, wenn sie Lust auf Nachhaltigkeit verspürt."

Möbelhersteller Brühl


Große Handelsketten, darunter die OTTO-Group (www.otto.de) – mit 2.3 Milliarden Euro Umsatz drittgrößter Möbelhändler Deutschlands – und Möbel Höffner (www.hoeffner.de, Nummer vier, 1,85 Milliarden) – haben ebenfalls zahlreiche „nachhaltige“ Möbel im Programm, auf die sie explizit verweisen. „Die Label sind vor allem ein Marketingthema. Sie sollen Verbraucher für Qualität sensibilisieren und vom Kauf billiger Importware aus China abhalten. Die aber haben durch den Onlinehandel in den Lockdownphasen enorm zugelegt“, sagt Branchenexpertin Ursula Geismann vom Institut für Interior Design und Trends (www.ursulageismann. de). „Ich sage jedem: Wir sind zu arm, um uns billige Möbel zu kaufen, und rate jedem, einmal mehr Geld in zeitloses Design und gute Qualität von Top-Marken zu investieren, als sich alle paar Jahre neue Möbel anzuschaffen.“

Und wie steht der Hamburger Einzelhandel zum Thema Nachhaltigkeit? Markus Cramer, Inhaber von Cramer Möbel (www.cramer-moebel.de), sieht die Beweisführung für Nachhaltigkeit vor allem in der „Story“ der Unternehmen, weniger im Labeling. „Im Hochpreissegment spielen die Qualitätssiegel nur eine untergeordnete Rolle, obwohl viele wie der Blaue Engel nicht umsonst zu bekommen sind. Unsere Kunden wollen sich mit der Philosophie der Unternehmen und deren Produktionsstandards identifizieren können“. Ein Paradebeispiel für nachhaltige Produktion sei die Firma Brühl (www.bruehl.com). Das Unternehmen agiere nachhaltig auf allen Ebenen: von der Wertschätzung der Mitarbeitenden über zeitloses Design bis zu ressourcenschonender Produktion und vor allem Einsatz sortenreiner und damit recycelfähiger Materialien. Sowohl die Bezüge wie auch die Polsterung sind austauschbar, Brühl arbeitet bevorzugt mit lokalen Lieferanten. „Eine nachhaltige Gesellschaft entsteht nur, wenn sie Lust auf Nachhaltigkeit verspürt“, heißt es auf der Website des Unternehmens. Auch Scholtissek (www.scholtissek.de) zählt Cramer zufolge zu den Pionieren der Nachhaltigkeit im Möbelbau. Seit 50 Jahren produziert das Unternehmen stilvolle Massivholzmöbel aus europäischen und amerikanischen Laubhölzern nachhaltiger Provenienz. Als Beweis führt auch Scholtissek das PEFC-Siegel „zur Sicherstellung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung“ an.

Michael Eck von „Die Wäscherei“ (www.die-waescherei.de) ist zweigleisig unterwegs. Im Stammhaus in der City Nord finden sich neben hochwertigen und nachhaltigen Möbeln für anspruchsvolle Käufer – darunter Sitzmöbel von Bullfrog (www.bullfrog-design.de) oder Designwerk (www.designwerk.li) – viele „trendige“ Accessoires und Kleinmöbel aus Fernost. Erst vor wenigen Wochen hat er im Hamburger Hof zwischen Jungfernstieg und Gerhofstraße Deutschlands ersten Bullfrog-Flagshipstore eröffnet. „Das Familienunternehmen produziert seit fast 30 Jahren in Deutschland und ist für mich einer der glaubwürdigsten Hersteller nachhaltiger Produkte, wenn das Wort denn sein muss“, so Eck. Dass er in seinen Geschäften auch „Schnelldreher“ ohne Nachhaltigkeitsetikett verkauft, sieht Eck nicht als Widerspruch. „Auch in asiatischen Manufakturen entstehen die Objekte in Handarbeit. Ich bin auch kein Missionar, sondern Kaufmann.“

Eck plädiert ohnehin für eine großzügigere Auslegung des Begriffs Nachhaltigkeit, wie sie vor allem Nils Holger Moormann (www.moormann.de) propagiert. Der Designer und Philosoph aus Aschau im oberbayerischen Chiemgau gilt vielen als „Papst“ der Nachhaltigkeit und stellt schon seit 36 Jahren hochwertige Möbel in Kooperation mit wenigen lokalen Spezialbetrieben her. Für ihn zählt vor allem der Langzeiteffekt, also der gesamte Lebenszyklus eines Produkts.

Moormann lässt daher auch Werkstoffe wie Kunststoff gelten, wenn sie durch zeitloses Design und Langlebigkeit viele Generationen hindurch genutzt werden können. Sperrholz darf daher auch aus Finnland kommen – wenn der lange Transportweg durch eine ökologisch einwandfreie Herstellung vor Ort und ein zeitloses Design wettgemacht wird. Als Beispiel für nachhaltig produzierte Designermöbel nennt er den Nendo NO2 Chair von Fritz Hansen (www.fritzhansen.com).

Oki Sato – Gründer des nendoDesign Studios (www.nendo.jp) – hat für das dänische Unternehmen einen Stuhl aus recyceltem Haushaltsplastikmüll entwickelt. Die verschiedenen Metallteile für den Unterbau – Stahlbeine, Chromstahl auf Bürorollen und Schlittenkufen aus Alu – sind Recyclingware. Auch PET-Flaschen dienen mittlerweile als Basisrohstoff für zahlreiche Möbel und Wohnaccessoires. Für das wiederverwertbare Gestänge eines Navy Chair 111 der US-Firma Emeco (www.emeco.net) wurden 111 PET-Flaschen von Coca-Cola verarbeitet. Das macht den 1944 von Wilton C. Denges für die Streitkräfte entwickelten Klassiker zu einem ebenso stilvollen wie zeitgemäßen Möbel.

Heiko Hoops von Gärtner internationale Möbel schwärmt von dem Stuhl Aveny T-Chair von Montana (für das Theater in Frederiksberg). Der Stuhl, ebenfalls aus recyceltem Plastik, ist der Gewinner des Designwettbewerbs Danmarks næste klassiker’ (Dänemarks kommende Klassiker). Der Entwurf von Anders Engholm Dohn wurde 2022 dauerhaft in die Montana-Kollektion aufgenommen. „Hier zeigt sich, wie wir unseren Plastikmüll am Ende in etwas Nachhaltiges verwandeln können“, so Hoops.

Nachhaltigkeit zeigt sich nicht zuletzt beim Service. So gibt es auch Hersteller, die Altes fachgerecht reparieren. Wenn das nicht mehr geht, wird „nachhaltig“ entsorgt – also recycelt. Hedda Möller
 

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