DEIKE UHTENWOLDT
Als sie das erste Mal in der engen Backstube ein großes Blech über dem Kopf balanciert, darauf fünf Sahnetorten, überlegt Lisa noch: „Bin ich eher Rechts- oder Linkshänder?“ Da ist es auch schon passiert. Die erste Torte kommt ins Rutschen, landet mit einem Platsch auf den frisch gemachten Pralinen, die zweite gleich hinterher, Lisa versucht aufzuhalten, was nicht mehr aufzuhalten ist, die Sahne hängt ihr an den Fingern – ein filmreifes Schlamassel. Nur befindet sich Lisa nicht am Set, sondern in einer Ausbildung zur Konditorin – und da hat die Chefin wenig Sinn für unfreiwilligen Slapstick. „Da hast du mal eben über 300 Euro verballert“, schreit sie Lisa an. „Du kannst jetzt nach Hause gehen und brauchst nicht wiederzukommen.“
Beinahe hätte Lisa Maaßen das gemacht, die Ausbildung abgebrochen, sich verkrochen, nie wieder Torten angefasst. Aber sie hatte Eltern, die auf ihrer Seite standen, vor allem hatte sie Elfriede Pohle-Raju, die so ganz anders auf die Blamage reagierte, als es die Auszubildende erwartet hatte. „Ich habemich gekugelt vor Lachen. Das Bild war so toll“, erzählt Pohle-Raju. Den Schaden nicht so ernst nehmen, etwas mehr Lockerheit in die Sache bringen, das war das eine. Das andere Motiv der Beraterin lautete, die Schuldfrage klären. „Ein randloses Tablett über dem Kopf zu balancieren, das schafft niemand auf Anhieb, das muss man trainieren, du hast keine Schuld, und kündigen darf dich die angestellte Meisterin schon gar nicht“, beruhigte sie Lisa.
Die Erfolgsquote liegt bei über 80 Prozent Pohle-Raju ist staatlich geprüfte Hauswirtschaftsleiterin und seit ihrer Rente eine „Senior Expertin“. So bezeichnet der Senior Experten Service (SES) in Bonn Fachleute im Ruhestand, die ihr Erfahrungswissen ehrenamtlich weitergeben, im Inland etwa bei der Initiative VerA. Das Kunstwort steht für „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“ und richtet sich an Jugendliche, die sich von erfahreneren Menschen durch ihre Ausbildung begleiten lassen wollen. „Hauptsächlich werden wir angefragt, wenn die Auszubildenden Probleme mit der deutschen Sprache oder der Fachtheorie haben oder sich besser auf die Prüfung vorbereiten wollen“, sagt Anne Schacke vom SES. Ihr Unternehmen prüft dann, welcher Experte infrage kommt, und bringt das Tandem zusammen. Stimmt die Chemie, kommen zudem persönliche oder betriebliche Probleme zur Sprache – oft ist auch die Ausbildung gerettet, so Schacke. „Die Erfolgsquote liegt bei über 80 Prozent.“
Allein in Hamburg hat die Initiative VerA schon mehr als 300 Tandems auf den Weg gebracht, aktuell sind es 74. Darunter das Team Maaßen/Pohle-Raju, obwohl es genau genommen nicht mehr in das Programm fällt: Im Juni hat Lisa ihre Gesellinnenprüfung erfolgreich bestanden und damit das VerA- Ziel erreicht. „Aber ich kann sie doch jetzt nicht einfach fallen lassen, nachdem wir so viel zusammen gelernt und erlebt haben“, sagt die Mentorin. Drei Jahre lang hat sie Lisa bei Matheaufgaben geholfen, Mut zugesprochen, auf Mängel in der Ausbildung hingewiesen und sich für die Rechte ihres Mentees starkgemacht.
Ihr Fall ist schließlich ein besonderer: Lisa kam mit einem schweren Herzfehler auf die Welt und erhielt bei der Erstoperation zu wenig Sauerstoff, seitdem ist sie behindert. „Ich habe eine Matheschwäche und kann mir Dinge nicht so gut merken“, erklärt die 26-Jährige. Lange Zeit nahm die junge Frau ihren Ausweis, der einen Behinderungsgrad von 50 Prozent nachweist, nicht mit. Sie wollte es ohne Sonderstatus schaffen, in der Schule und in der Konditorei.
Aus zwei vollkommen fremden Menschen, die sich vor drei Jahren in einem Wandsbeker Café kennenlernten, ist ein bewährtes Tandem geworden. Den Anstoß dazu gab Lisas späterer Ausbildungsbetrieb. „Ich wusste aus meiner Klasse, dass dort ein Mitschüler die Ausbildung abgebrochen hatte, und habe mich einfach vorgestellt“, sagt Lisa. Anschließend durfte die Hauswirtschaftsschülerin eine Woche zur Probe arbeiten.
„Leider war die Probe nicht so toll, die haben natürlich auch meine Schwächen bemerkt, und der Chef wollte mich nicht haben“, erzählt Lisa. Aber eine Meisterin sah auch ihre Stärken, ihre große Motivation und Lernbereitschaft, und schlug eine begleitete Ausbildung durch die Initiative VerA vor. „Zuerst wollte ich das nicht so annehmen, man lässt sich ja nicht so gern helfen“, sagt die junge Konditorin rückblickend, „aber dann wollte ich es wenigstens ausprobieren.“ Inzwischen treffen sich Mentee und Mentorin wöchentlich, wenn es nötig ist, auch außerhalb der eigenen vier Wände. Etwa nach dem „Tortenunfall“ im zweiten Lehrjahr, als Lisa sich kaum zurück in den Betrieb traute. Die Wogen konnten geglättet werden.
Schließlich liegt nun die Freistellungsurkunde vor Lisa, auf die sie sichtlich stolz ist. „Das war kein Zuckerschlecken“, sagt die junge Frau, als sie Fotos von Teegebäck, Pralinen und Tortendekorationen aus ihrer praktischen Abschlussprüfung zeigt. „Vive la France“ hieß das Prüfungsmotto, das Lisa zu einer Himbeersahnetorte mit rotem Zuckerherz, Schokoladentauben und Fröschen aus Marzipan inspirierte. „Franzosen essen gern Froschschenkel“, erklärt sie ihre Wahl.
Als die 3-D-Ornamente am Ende erfolgreich auf der Torte standen und vor allem stehen blieben, die Prüfungskommission kostete und Lisas Kreation für gut befand, weinte Lisa – vor Freude. „Man darf nicht aufgeben“, sagt sie. „Auch wenn man mal angeschrien wird. Am nächsten Tag ist alles wieder gut!“ Das Hotel Lindtner hat sie befristet für ein Jahr in der Küche übernommen.
Im September gönnt sich Lisa eine Reise nach Prag – in Begleitung von Elfriede Pohle-Raju. Als Dankeschön. „Ich möchte sie eigentlich ein Leben lang behalten“, sagt Lisa lächelnd.
Als sie das erste Mal in der engen Backstube ein großes Blech über dem Kopf balanciert, darauf fünf Sahnetorten, überlegt Lisa noch: „Bin ich eher Rechts- oder Linkshänder?“ Da ist es auch schon passiert. Die erste Torte kommt ins Rutschen, landet mit einem Platsch auf den frisch gemachten Pralinen, die zweite gleich hinterher, Lisa versucht aufzuhalten, was nicht mehr aufzuhalten ist, die Sahne hängt ihr an den Fingern – ein filmreifes Schlamassel. Nur befindet sich Lisa nicht am Set, sondern in einer Ausbildung zur Konditorin – und da hat die Chefin wenig Sinn für unfreiwilligen Slapstick. „Da hast du mal eben über 300 Euro verballert“, schreit sie Lisa an. „Du kannst jetzt nach Hause gehen und brauchst nicht wiederzukommen.“
Beinahe hätte Lisa Maaßen das gemacht, die Ausbildung abgebrochen, sich verkrochen, nie wieder Torten angefasst. Aber sie hatte Eltern, die auf ihrer Seite standen, vor allem hatte sie Elfriede Pohle-Raju, die so ganz anders auf die Blamage reagierte, als es die Auszubildende erwartet hatte. „Ich habemich gekugelt vor Lachen. Das Bild war so toll“, erzählt Pohle-Raju. Den Schaden nicht so ernst nehmen, etwas mehr Lockerheit in die Sache bringen, das war das eine. Das andere Motiv der Beraterin lautete, die Schuldfrage klären. „Ein randloses Tablett über dem Kopf zu balancieren, das schafft niemand auf Anhieb, das muss man trainieren, du hast keine Schuld, und kündigen darf dich die angestellte Meisterin schon gar nicht“, beruhigte sie Lisa.
Die Erfolgsquote liegt bei über 80 Prozent Pohle-Raju ist staatlich geprüfte Hauswirtschaftsleiterin und seit ihrer Rente eine „Senior Expertin“. So bezeichnet der Senior Experten Service (SES) in Bonn Fachleute im Ruhestand, die ihr Erfahrungswissen ehrenamtlich weitergeben, im Inland etwa bei der Initiative VerA. Das Kunstwort steht für „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“ und richtet sich an Jugendliche, die sich von erfahreneren Menschen durch ihre Ausbildung begleiten lassen wollen. „Hauptsächlich werden wir angefragt, wenn die Auszubildenden Probleme mit der deutschen Sprache oder der Fachtheorie haben oder sich besser auf die Prüfung vorbereiten wollen“, sagt Anne Schacke vom SES. Ihr Unternehmen prüft dann, welcher Experte infrage kommt, und bringt das Tandem zusammen. Stimmt die Chemie, kommen zudem persönliche oder betriebliche Probleme zur Sprache – oft ist auch die Ausbildung gerettet, so Schacke. „Die Erfolgsquote liegt bei über 80 Prozent.“
Allein in Hamburg hat die Initiative VerA schon mehr als 300 Tandems auf den Weg gebracht, aktuell sind es 74. Darunter das Team Maaßen/Pohle-Raju, obwohl es genau genommen nicht mehr in das Programm fällt: Im Juni hat Lisa ihre Gesellinnenprüfung erfolgreich bestanden und damit das VerA- Ziel erreicht. „Aber ich kann sie doch jetzt nicht einfach fallen lassen, nachdem wir so viel zusammen gelernt und erlebt haben“, sagt die Mentorin. Drei Jahre lang hat sie Lisa bei Matheaufgaben geholfen, Mut zugesprochen, auf Mängel in der Ausbildung hingewiesen und sich für die Rechte ihres Mentees starkgemacht.
Ihr Fall ist schließlich ein besonderer: Lisa kam mit einem schweren Herzfehler auf die Welt und erhielt bei der Erstoperation zu wenig Sauerstoff, seitdem ist sie behindert. „Ich habe eine Matheschwäche und kann mir Dinge nicht so gut merken“, erklärt die 26-Jährige. Lange Zeit nahm die junge Frau ihren Ausweis, der einen Behinderungsgrad von 50 Prozent nachweist, nicht mit. Sie wollte es ohne Sonderstatus schaffen, in der Schule und in der Konditorei.
Aus zwei vollkommen fremden Menschen, die sich vor drei Jahren in einem Wandsbeker Café kennenlernten, ist ein bewährtes Tandem geworden. Den Anstoß dazu gab Lisas späterer Ausbildungsbetrieb. „Ich wusste aus meiner Klasse, dass dort ein Mitschüler die Ausbildung abgebrochen hatte, und habe mich einfach vorgestellt“, sagt Lisa. Anschließend durfte die Hauswirtschaftsschülerin eine Woche zur Probe arbeiten.
„Leider war die Probe nicht so toll, die haben natürlich auch meine Schwächen bemerkt, und der Chef wollte mich nicht haben“, erzählt Lisa. Aber eine Meisterin sah auch ihre Stärken, ihre große Motivation und Lernbereitschaft, und schlug eine begleitete Ausbildung durch die Initiative VerA vor. „Zuerst wollte ich das nicht so annehmen, man lässt sich ja nicht so gern helfen“, sagt die junge Konditorin rückblickend, „aber dann wollte ich es wenigstens ausprobieren.“ Inzwischen treffen sich Mentee und Mentorin wöchentlich, wenn es nötig ist, auch außerhalb der eigenen vier Wände. Etwa nach dem „Tortenunfall“ im zweiten Lehrjahr, als Lisa sich kaum zurück in den Betrieb traute. Die Wogen konnten geglättet werden.
Schließlich liegt nun die Freistellungsurkunde vor Lisa, auf die sie sichtlich stolz ist. „Das war kein Zuckerschlecken“, sagt die junge Frau, als sie Fotos von Teegebäck, Pralinen und Tortendekorationen aus ihrer praktischen Abschlussprüfung zeigt. „Vive la France“ hieß das Prüfungsmotto, das Lisa zu einer Himbeersahnetorte mit rotem Zuckerherz, Schokoladentauben und Fröschen aus Marzipan inspirierte. „Franzosen essen gern Froschschenkel“, erklärt sie ihre Wahl.
Als die 3-D-Ornamente am Ende erfolgreich auf der Torte standen und vor allem stehen blieben, die Prüfungskommission kostete und Lisas Kreation für gut befand, weinte Lisa – vor Freude. „Man darf nicht aufgeben“, sagt sie. „Auch wenn man mal angeschrien wird. Am nächsten Tag ist alles wieder gut!“ Das Hotel Lindtner hat sie befristet für ein Jahr in der Küche übernommen.
Im September gönnt sich Lisa eine Reise nach Prag – in Begleitung von Elfriede Pohle-Raju. Als Dankeschön. „Ich möchte sie eigentlich ein Leben lang behalten“, sagt Lisa lächelnd.
Extra-Info
Kosten: Das staatlich geförderte Mentorenprogramm gibt es seit 2009. Bei der Senior-Begleitung entstehen den Auszubildenden und Betrieben keine Kosten.
Kontakt: Azubis und interessierte Senior
Experten melden sich online: www.vera.ses-bonn.de; oder telefonisch: 0228/260 90 40
Kontakt: Azubis und interessierte Senior
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