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Bertram Spieß, Geschäftsführender Vorstand von insel e.V., über die Wohnsituation von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und neue Projekte

Bertram Spieß von Hamburger Insel e.V.: „Es braucht mehr bezahlbaren Wohnraum“

Bertram Spieß, Geschäftsführender Vorstand von insel e.V.

Herr Spieß, warum ist es für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen so schwer, in Hamburg eine Wohnung zu finden?

Eine anhaltende psychische Erkrankung hat weitreichende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Überproportional häufig sind die Menschen von Armut betroffen. Aufgrund der geringen finanziellen Möglichkeiten ist es für sie in den letzten Jahren sogar noch schwieriger geworden, auf dem angespannten Wohnungsmarkt eine bezahlbare Wohnung zu finden. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Bevölkerung Vorurteile und Unsicherheiten im Umgang mit psychisch Erkrankten bestehen. Dies trägt auch dazu bei, dass Vermieter*innen Menschen mit einer psychischen Erkrankung bei der Vergabe von Wohnungen weniger berücksichtigen. Fehlender Wohnraum oder schlechte Wohnverhältnisse wiederum sind belastend und können dazu beitragen, die psychische Erkrankung zu verstärken. Als einen Ausweg aus diesem Teufelskreis mieten Soziale Träger Wohnungen für diesen Personenkreis an.

Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Zunächst und grundsätzlich braucht es mehr bezahlbaren Wohnraum. In den letzten Jahren wurden wieder viele Sozialwohnungen neu gebaut. Doch den Bedarf deckt das natürlich nicht. Um Personengruppen, die es besonders schwer haben auf dem Wohnungsmarkt, eine Chance auf gutes Wohnen zu geben, sollten deren Versorgung und Bedürfnisse bei Grundstückausschreibungen und bei der Stadtplanung berücksichtigt werden. Das Pergolenviertel in Barmbek erscheint mir hier als ein gutes Beispiel. Hier wurden die Anforderungen von Menschen mit Beeinträchtigungen in den Planungen von Anfang an mit bedacht. Neben dem Wohnen sind Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten im Stadtteil für soziale Unterstützung und gemeinschaftliche Aktivitäten wichtig.

Was tut insel e. V., um Menschen mit psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen in Wohnungen zu bringen?

Wir unterstützen Menschen im Rahmen der Betreuung individuell bei der Wohnungssuche. Darüber hinaus bauen wir Kontakt zu Genossenschaften, Wohnungsbaugesellschaften und Einzeleigentümern auf, um sie dafür zu gewinnen, auch für Menschen mit psychischer Erkrankung Wohnungen zur Verfügung zu stellen. In Kooperation mit Baugemeinschaften und Genossenschaften konnten wir so dazu beitragen, dass Wohnungen für diesen Personenkreis gebaut und zur Verfügung gestellt wurden. Und wir konnten zu einer ortsnahen Unterstützung von Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen beitragen.

Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Sehr positiv. Stabile und gute Wohnverhältnisse sind ein wichtiger Faktor für eine gesundheitliche Stabilisierung. In Gesprächen, durch Aufklärung und im alltäglichen Zusammenleben in der Nachbarschaft und im Quartier gelingt es, Vorurteile und Ängste abzubauen.

Was braucht es neben Wohnangeboten noch an Unterstützungsangeboten?

Menschen mit Beeinträchtigungen brauchen in unterschiedlichem Maße und nach Wunsch Hilfen zur Selbstversorgung im häuslichen Bereich, Unterstützung bei der individuellen Tagesstrukturierung, beim Umgang mit der psychischen Erkrankung, bei der Bewältigung von Krisensituationen, bei Finanz- und Behördenangelegenheiten. Im Stadtteil braucht es eine Öffnung der Angebote, weil Menschen dies die Teilhabe erleichtert.

Haben Sie neue Projekte in der Pipeline?

Aktuell sind wir an verschiedenen Neubauprojekten beteiligt. So entstehen im Pergolenviertel ab kommendem Jahr Einzel- und Gemeinschaftswohnungen für Menschen mit psychischer Erkrankung, dazu kommt in Kooperation mit zwei anderen sozialen Trägern eine stadtteilorientierte Begegnungsstätte. Und in einem Neubau in der Goldbachstraße in Altona, der zum 1. Oktober 2021 fertiggestellt wird, entstehen zwei Wohnungen für Wohngemeinschaften von insgesamt sieben Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Noch sind hier Wohngemeinschaftszimmer mit eigenem Bad frei! In Harburg sind wir Kooperationspartner einer Wohnungsgenossenschaft. Dort entsteht neben 13 Wohnungen bis Anfang 2025 ein Nachbarschaftscafé, das wir betreiben werden. Im Holstenquartier, das auf dem ehemaligen Gelände der Holstenbrauerei entstehen wird, konnten wir erst kürzlich einen ‚Letter of Intent’ unterzeichnen, der für uns ein Vorschlagsrecht für 27 Wohnungen für Menschen mit Beeinträchtigungen vorsieht. Und schließlich konnten wir aktuell von einem privaten Vermieter drei Wohnungen in Harburg anmieten, in denen psychisch kranke Menschen in prekären Wohnverhältnissen im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt vorübergehend wohnen und mit Unterstützung eine neue Perspektive entwickeln können. csl

Das Pergolenviertel in Winterhude

Foto: insel e.V
Foto: insel e.V

Das zum Stadtteil Winterhude zählende Pergolenviertel erstreckt sich auf einer Fläche von 27 Hektar von der Hebebrandstraße im Norden bis zur Alten Wöhr im Süden. 2016 wurde hier mit dem Bau von Wohnhäusern begonnen, insgesamt 1700 Wohneinheiten sind geplant im größten Neubauquartier des Bezirks Hamburg-Nord. Das Viertel zeichnet sich durch eine dort anzutreffende Vielfalt unterschiedlicher Wohnformen aus. Und so wird es auch Häuser geben, in denen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen wohnen werden können.

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