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Kreutzfahrt Extra

Segeln ohne festen Plan

Eine Reise mit der „Sea Cloud“ ist wie ein Trip in die Vergangenheit Sea Cloud

Eine Reise mit der „Sea Cloud“ ist wie ein Trip in die Vergangenheit Sea Cloud

Einmal im Jahr gibt der Wind die Route für die Luxusyacht „Sea Cloud“ vor. Das Ziel ist immer wieder eine Überraschung

BERNT HALLER

Stellen Sie sich vor, Sie buchen für Ihre Kreuzfahrt eine teure Luxuskabine. Sie betreten die und sehen: Sie hat keinen Balkon, keine gläserne Tür nach draußen, nicht einmal ein richtiges Fenster. Nur zwei kleine Bullaugen, jedes nicht größer als eine Langspielplatte.

Eine Reise auf dem Windjammer „Sea Cloud“ hat mit einer Kreuzfahrt in der heute üblichen Form nichts gemein: Eher könnte man es eine Zeitreise nennen, einen Trip in die Vergangenheit, in der es lange nicht alles gab, was uns heute so selbstverständlich erscheint. „Entschuldigen Sie meinen Aufzug“, sagt der eigentlich feine dänische Gentleman, als ich ihn am anderen Morgen als Bodybuilder verkleidet treffe: „Aber ich habe das Fitness-Center gesucht!“ Der Mann gehört offenbar zu der kleinen Minderheit der Erstbesteiger der „Sea Cloud“. Sonst wüsste er: Es gibt hier kein Workout, kein Spa, keinen Jacuzzi, keinen Friseursalon, kein 3-D-Kino, nicht einmal TV-Geräte. Stattdessen besitzt das Schiff vier imponierende Masten, etwa 30 Segel an den Rahen, allerschönste Teakholzdecks, ein wunderbares Restaurant, Bar, Büfett und Kabinen für 64 Passagiere, davon zehn in der erwähnten Luxusklasse.

Hamburger Segel­-Fans haben die Yacht wiederbelebt

Die Geschichte der „Sea Cloud“ gehört zu den berühmtesten Schiffsbiografien auf den sieben Meeren. Sie startete als glamouröse Milliardärsyacht, gebaut 1931 in Kiel aus bestem Kruppstahl. Später wurde sie zur Diplomatenyacht, diente im Krieg, der Masten beraubt, als Wetterschiff für die US-Marine, ging über in den Besitz des berüchtigten Diktators Rafael Leonidas Trujillo, dessen Lieblingssohn es vor Hollywood als Partyschiff nutzte. Nach der Trujillo-Ära lag es jahrelang an der Pier, sollte als schwimmende Universität starten, scheiterte damit und rostete dann acht Jahre in Panama vor sich hin.

1978 entdeckten Hamburger Segel-Fans den Oldtimer, erwarben ihn und brachten ihn über den Atlantik. Sie modernisierten für sieben Millionen Euro die Technik, bauten auf dem Oberdeck 22 Kabinen dazu und restaurierten die bestehenden. Die Überdekoration von einst ist etwas reduziert, doch die goldenen Wasserhähne in Schwanenform sorgen in den Marmorbädern der Eignerkabinen noch immer für Verzückung. Seit 1979 fährt der prächtige Windjammer nun als Kreuzfahrer.

Unser Törn ist ein besonderer, den es nur einmal im Jahr gibt. Motto: „Segeln ohne festen Plan. Nur der Wind gibt die Route vor.“ Und wir sollen uns überraschen lassen, wohin die Reise führt. Deshalb, so hatte ich schon gehört, sei dies die Lieblingsreise der Repeater, die nicht kommen, um bestimmte Orte zu sehen, sondern nur des Segelns wegen. Da tut es der gespannten Erwartung auch keinen Abbruch, dass uns der russische Kapitän, Vladimir Pushkarev, nach der Einschiffung in Las Palmas humorig ein paar seiner Wunschhäfen für die nächsten beiden Tage nominiert, darunter auch Los Cristianos auf Teneriffa und San Sebastian.

„Na, soll er mal sehen, wie er da mit dem Wind klarkommt“, frozzelt einer der ältesten „Oldtimer“ an Bord, der schon 13 Reisen mitgemacht hat. „Aber Sie können mit einem 100-Meter-Schiff ja auch nicht als Überraschungsgast in einem Hafen erscheinen, da müssen Sie schon was reserviert haben!“

Diese Fragen interessieren keinen mehr, als die „Sea Cloud“ am nächsten Morgen ihre Segel setzt, und das von Hand, während alle anderen Kreuzfahrtsegler ihre Segel elektrisch ein- und ausrollen: Da sprinten 18 Besatzungsmitglieder die Wanten hoch, im Gegenlicht und bis auf fast fünfzig Meter am Groß- mast, eine Art Zirkustheater der spektakulärsten Art. Das Setzen der Segel wird vom 1. Offizier in putzigem Englisch kommentiert. Dann legen sich die Fotografen unter den Passagieren, also fast alle, auf seinen Rat rückwärts auf das Vorderschiff: „So können Sie die Segel am besten aufs Bild kriegen!“

Nach dieser Szenerie herrscht Stille, die die Passagiere an der Reling genießen. Und hier und in diesem Moment beginnt mein „Sea Cloud“-Gefühl: Die wunderbare Kombination aus Müßiggang und Entschleunigung. Man blickt auf das Meer und die ewig gleichen weißen Wellenkämme, man liegt eine Weile im Liegestuhl und liest in seinem Buch, man guckt auf die Segel, die sich zu bilderbuchhaften Schönheiten wellen, dann schwänzeln auf der anderen Seite ein paar kleine Rudel von Delfinen neben uns her und winken mit ihren Schwanzflossen. Man kommt miteinander ins Gespräch („Schon häufiger an Bord?“ – „Bisschen wenig Wind, oder?“) und schlendert dann vielleicht noch mal wieder an die Bar zu Bepot, der hier seit 35 Jahren seine Cocktails mixt. Und dann geht man wieder raus, um über die See zu gucken.

Am nächsten Tag, bei fast zeitlupenhafter Bewegung von kaum 1,5 Knoten, wird zusätzlich das große Besansegel am Heck gehisst: „Das hab ich auf meinen acht Törns noch nie gesehen“, staunt einer unserer Segel-Profis, „aber bei dieser Stellung des Besanbaums kann das nur Dekoration sein!“ Er behält recht: Ein paar Minuten später lädt Kreuzfahrtdirektorin Clarissa zu einer Fotosafari rund um die „Sea Cloud“ im Zodiac ein, und da soll sich das Schiff natürlich in voller Schönheit präsentieren.

Beim Einlaufen in La Palma treffen wir die „Sea Cloud 2“

Für diejenigen, die Langeweile nicht so genießen wie ich, gibt es allerlei Zerstreuungen und Vergnüglichkeiten. Lektor Ole spricht nicht nur pointiert über die Kanaren, er witzelt sich auch mit uns durch einen amüsanten „Spanisch für Anfänger“-Kursus und lädt zu einer Tanzstunde, natürlich nur für exotische Disziplinen. Beim Einlaufen in den Hafen von La Palma begegnen wir der „Sea Cloud 2“, der jüngeren Schwester unserer Yacht, die uns theatralisch umrundet. Und das Boutique-Team breitet zweimal in der Woche offenbar sehr erfolgreich die kaum überschaubare Vielfalt der Schiffs-Souvenirs aus. Schon nach dem ersten Termin tragen fast alle Herren das „Sea Cloud“-T-Shirt, es sind dieselben, die zum Captain’s Dinner mit „Sea Cloud“-Krawatten kommen.

Als am Sonntag vor Teneriffa der Wind bis Stärke 5 bis 6 auffrischt, das Tauwerk stöhnt, die Rahen knarzen (oder ist es umgekehrt?), da handeln die Gespräche von Kaventsmännern, Tsunamis und prominenten Schiffskatastrophen. An der Lido-Bar geht es hoch her, und als die Glocke läutet und der Hotelmanager Simon seine rote Schürze umbindet und mit „Attenzione, attenziona, senoras y senores!“ das Büfett eröffnet, da ist die Stimmung so animiert und ausgelassen wie noch nie.

Der Pole Simon, seit über dreißig Jahren dabei und seit Langem die stets gut gelaunte und auch Englisch sprechende Seele des Schiffes, stellt den meistbeklatschten Mann an Bord vor: den 36-jährigen Küchenchef Maik Albrecht. Seine Büfetts sind wie Sinfonien in mehreren Sätzen. Da gibt es Räucherfisch-Pralinen, Garnelen mit Mango, Kaviar mit fantasievollen Beilagen, weiter geht es mit Suppen-Kompositionen und Fischen aller Art, perfekt gegart und mit Gemüsen voller Biss und Aroma. Filets, Poularden und Braten folgen in köstlicher, auch optisch dekorativer Aufbereitung, natürlich auch vegetarisch. Denn laut Küchenchef Maik gehört ein fleischloses Angebot heute wie selbstverständlich auf die Karte. Nur die farbenfrohen Varianten der Schokoladen-, Beeren- und Sorbet-Desserts erlebe ich meist nur als gesättigter Zaungast.

Irgendwann stehen wir in einem Hafen mal direkt neben einer Aida, die verglichen mit der wesentlich kleineren „Sea Cloud“ wie ein schwimmendes Neubauviertel neben einer Blockhütte wirkt. Der ältere Unternehmensberater aus Münster, der erstmals an Bord ist, blickt sich um: „Ich habe nicht geglaubt, dass es so was wie diese Yacht hier noch gibt“, schnieft er gerührt in sein Whiskyglas. „Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder auf eines der großen Kreuzfahrtschiffe mit vier Swimmingpools, zwei Discos und einem Spielcasino gehen werde!“

Tipps & Wissenswertes

Das Schiff
Die „Sea Cloud“ ist 109,50 Meter lang und an der breitesten Stelle 14,94 Meter breit. Es gibt 32 Kabinen für je zwei Personen, zehn davon im Originalbereich mit Marmorbad, Dusche/WC.

Termine
In diesem Jahr findet der Überraschungstörn „Segeln ohne festen Fahrplan“ vom 25. September bis 2. Oktober statt. Abgelegt wird in Dubrovnik, Ziel ist Malta. Dazwischen bestimmt der Wind die Stopps. Preis: ab 3395 Euro. Dazu gibt es viele reguläre Fahrten, wie z. B. von Valetta nach Venedig, 30. Juli bis 8. August, Preis pro Person ab 4400 Euro. Infos und Buchung unter www.seacloud.com

Routen
Von Mai bis November fährt die „Sea Cloud“ im Mittelmeer. In den Wintermonaten wechselt sie in die Karibik, bevor sie im April wieder ihre Routen im Mittelmeer aufnimmt.
www.seacloud.com
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