Das Fenster an der Front eines ICE-Triebzuges ist ziemlich klein. Doch genau dieser exklusive Blick aus dem Führerstand ist Teil der Faszination des Berufs. Noch eine andere Sache fasziniert Sinnica Mehles: „Es ist schon toll, mit einem so kleinen Hebel eine so große Masse in Bewegung zu setzen.“ Seit wenigen Monaten macht die 19-Jährige in Hamburg eine Ausbildung bei der Deutschen Bahn AG (DB) als Lokführerin im Fernverkehr.

Bundesweit haben bei der DB nur 4,6 Prozent Frauen das Sagen im Führerstand. Noch. Doch der Konzern strebt eine deutlich höhere Quote an. Bei der Bahn sollen in allen Berufen mehr Frauen arbeiten, das ist das Ziel – bis Ende 2024 soll eine Gesamtquote von 30 Prozent erreicht werden. Bisher sind es, alle rund 500 Berufssparten eingerechnet, 23,3 Prozent. Um das Ziel zu erreichen, setzt die Bahn auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Unter anderem öffnet sie sich für Quereinsteigerinnen und setzt auf zielgruppenspezifisches Recruiting, etwa in digitalen Netzwerken.

Modernes Recruiting war bei Sinnica Mehles allerdings gar nicht erforderlich. Bei der Neu-Hamburgerin wurden die Weichen schon viel früher gestellt. Mehles ist Mitglied einer echten Eisenbahnerfamilie. Schon als Kind fuhr sie bei ihrem Vater mit, der ebenfalls Lokführer ist. „Es hat mir gefallen, dass man so viel herumkommt“, erzählt sie. Später schaute sie ihrer Schwester, einer Fahrdienstleiterin in einem Stellwerk, über die Schulter. Die Faszination Bahn war immer da, aber die Entscheidung für den Ausbildungsberuf nicht sofort. Mehles machte einen Realabschluss und die Fachhochschulreife, danach ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Schulsozialarbeit. In einem völlig anderen Umfeld stellten sich ihre beruflichen Signale für die alte Liebe zur Bahn dann auf Grün. „Ich wusste, dass ich nicht in einem Büro arbeiten und stattdessen viel unterwegs sein will. Aber jetzt kam noch der Wunsch dazu, Verantwortung zu übernehmen.“

Sie zögerte dann auch nicht, für die Ausbildung aus der schwäbischen Dorfgemeinschaft ins ferne Hamburg zu ziehen. Die unbefristete Übernahmegarantie der DB bei einem guten Abschluss der Ausbildung war dabei ein weiteres Argument. Doch bevor Sinnica Mehles allein im Führerstand des ICE 1 und 4 die Kontrolle übernimmt, liegen noch rund zweieinhalb Jahre in Theorie und Praxis vor ihr. Dann muss sie die komplexe Technik beherrschen. Derzeit lenkt sie die Hochgeschwindigkeitszüge noch unter Aufsicht ihres Ausbilders Frank Heller. Der macht klar, dass Lokführer vor allem Konzentrationsfähigkeit und eine schnelle Auffassungsgabe brauchen. „Sie müssen bei einer Fahrt von Hamburg nach Frankfurt am Main und zurück etwa 600 bis 700 Signale im Blick haben und ständig in der Lage sein, auf unerwartete Störungen zu reagieren.“ Letztere lassen sich in Loksimulator in Hamburg trainieren.

Bemerkenswert ist, dass ein Teil der Ausbildung coronabedingt im Homeoffice stattfinden kann. Damit liegen auch die derzeit 14 Lokführer-Azubis im Fernverkehr ganz im Trend der DB-Offensive für mehr Flexibilität in der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. BASTIAN HEBBELN

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