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Mensch & Medizin

Hochsaison für Allergien

Warum sie immer häufiger werden und was dagegen hilft

Gräserpollen kitzeln nicht nur in der Nase, bei Empfindlichen rufen sie eine Fehlreaktion des Immunsystems hervor, unter der der ganze Körper leidet Foto: fotolia
Gräserpollen kitzeln nicht nur in der Nase, bei Empfindlichen rufen sie eine Fehlreaktion des Immunsystems hervor, unter der der ganze Körper leidet Foto: fotolia
Das quält derzeit viele: Atembeschwerden, ein Engegefühl in der Brust und juckende Entzündungen an Haut und Schleimhäuten. Mit dem Frühjahr beginnt wieder die Hauptsaison für Allergien. Hasel und Erle haben inzwischen ausgeblüht, doch seit Anfang April sind Birkenpollen unterwegs, die unter den Baumpollen das größte Allergiepotenzial haben. Im Mai folgen Gräserpollen, auf die rund 70 Prozent aller Allergiker reagieren. Inzwischen gehören 30 Prozent der Deutschen zu den Patienten, Frauen sind mit 35,8 % gegenüber den Männern (24,1 %) in der Überzahl. Am häufigsten zutage tritt die Neigung zu Überempfindlichkeitsreaktionen des Immunsystems als allergischer Schnupfen, gefolgt von Asthma, Neurodermitis und Kontaktallergien. Wer als Kind unter Neurodermitis leidet, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, später auch andere Allergieformen zu entwickeln. Erbliche Veranlagung spielt dabei eine Rolle. Die moderne Genforschung legt nahe, dass es nicht einzelne Risikogene sind, die das Allergiegeschehen bestimmen, sondern vielmehr ein Zusammenspiel mehrerer Gene.


Auswirkungen von Luftschadstoffen


Ob eine Veranlagung zur Überempfindlichkeit zum Tragen kommt, hängt auch von Lebensstilfaktoren ab. Historische Forschungen widerlegen das Vorurteil, Allergien seien ein Leiden der Neuzeit. Schon Augustus, Herrscher des Römischen Reiches im 1. Jhdt. nach Christus, litt offenbar an Heuschnupfen. Dass die Zahl der Allergiepatienten immer weiter steigt, steht möglicherweise im Zusammenhang mit einer veränderten Umwelt: Nach Untersuchungen von Peter Schmid-Grendelmeier, Allergologe am Universitätsspital Zürich, enthalten Bäume in der Stadt inzwischen mehr Allergene als solche, die auf dem Land stehen. Luftschadstoffe, Wasserknappheit und Platzmangel bringen die Bäume dazu, Abwehrsubstanzen zu bilden. Verstärkter Pollenflug ist also eine Folge von Pflanzenstress. Zudem lagern sich Luftschadstoffe laut den Zürcher Untersuchungen an die Pollen an und machen diese aggressiver für die menschliche Schleimhaut, die durch Feinstaub und andere Faktoren ohnehin schon ziemlich gereizt ist. Deutschlandweit hat sich die Pollenkonzentration laut Langzeitmessungen gesteigert. Inzwischen verstehen Wissenschaftler weitestgehend, wie es zur allergischen Kaskade kommt: Das Allergen auf den Schleimhäuten wird von den Fresszellen, der Immunpolizei des Körpers, als fremd erkannt, aufgenommen und den THelferzellen präsentiert. Diese schütten daraufhin Botenstoffe aus. Unter dem Einfluss der Botenstoffe wandeln sich B-Lymphozyten, die ebenfalls zum Immunschutz gehören, zu Plasmazellen um und bilden Antikörper gegen das Allergen. Der Körper ist nun sensibilisiert. Jeder weitere Kontakt mit dem Allergen bewirkt in durchschnittlich zehn Minuten eine durch Botenstoffe (Histamine) vermittelte allergische Reaktion: Die Nase schwillt, die Augen tränen, die Haut juckt. Wie in diesen Prozess einzugreifen ist oder wie er ganz verhindert werden kann, daran forscht die Wissenschaft seit Jahren mit Hochdruck. Die Genanalyse ermöglicht ein noch besseres Verständnis der Allergie-Entstehungsmechanismen und eröffnet Ansatzpunkte für neue Therapien. Die derzeitigen Behandlungsmethoden sind noch nicht zufriedenstellend: Antihistaminika unterdrücken zwar die Allergiesymptome, können aber die mit einer Allergie verbundene Müdigkeit verstärken. Und Cortison legt nicht nur die allergische Reaktion, sondern die gesamte körperliche Abwehr lahm. Als einzige ursächlich wirkende Behandlung gibt es derzeit die spezifische Immuntherapie. Das Immunsystem wird mit kleinen Dosen des Allergens auf Unempfindlichkeit trainiert. Zusatzstoffe (Adjuvantien) und veränderte Wirkstoffträger sollen die Immuntherapie noch effektiver und besser verträglicher machen. Nachteile: Die Behandlung kann bis zu drei Jahre dauern. Sie steht nicht für alle Allergieformen zur Verfügung und wirkt nicht bei allen Patienten gleich gut. Noch in der Entwicklung ist der Einsatz von künstlich hergestellter DNA sowie von Antikörpern. Auch wird derzeit ein Wirkstoff zur Therapie von Erdnussallergie erprobt. Bis aus den Wirkstoffen zugelassene Medikamente werden, wird noch einige Zeit vergehen. nf

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