Medikamentenmangel und die Folgen: Beratung durch Apothekerin Sibel Sancakli in der Hamburger Goßlers Park Apotheke
Manchmal muss Frau Sibel Sancakli in erschreckt dreinblickende Gesichter schauen. Dann, wenn die Apothekerin ihren Kunden erklärt, dass es die Tabletten, die sie schon seit Jahren einnehmen, nicht mehr gibt. „Oder zumindest im Moment nicht“, fügt sie hinzu. In ganz Deutschland sind zurzeit über 250 verschiedene Medikamente nicht lieferbar – vor allem fiebersenkende Säfte für Babys, Antibiotika, Schmerzmittel, Antidepressiva und auch Blutdruck- und Cholesterinsenker. Das Krebsmittel Tamoxifen, das Frauen nach einer Brustkrebsbehandlung verschrieben bekommen, war ebenso Anfang des Jahres zeitweise nicht erhältlich. Ein Schock für alle Betroffenen.
Aber was sind die Gründe dafür, dass gängige Arzneimittel ausverkauft sind? Die meisten Rohstoffe und Packmittel für die Medikamentenherstellung werden seit Jahren aus Preisgründen in Billiglohnländern wie Indien und China hergestellt. Doch Corona stoppte vielerorts die Produktionsketten. Das führt zu verzögerten Beschaffungsmöglichkeiten für die deutschen und europäischen Pharmahersteller.
Sind Medikamente nicht lieferbar, sind Arzt und Apotheker gefragt, ein anderes Präparat zu finden, das den Patienten hilft. Für die Apotheken bedeutet das einen zusätzlichen Zeitaufwand für die Suche nach Alternativen. Außerdem muss der Erklärungsbedarf dem Patienten gegenüber abgedeckt werden. Denn viele Menschen, die jahrelang auf bestimmte Wirkstoffe gesetzt haben, verunsichert die Umstellung. „Gerade wenn ältere Patienten, die bislang Tag für Tag eine kleine, gelbe Pille zum Beispiel gegen ihren zu hohen Bluthochdruck eingenommen haben, nun eine längliche, rote einnehmen sollen“, sagt die Apothekerin.
Wenn Arzneimittel plötzlich nicht mehr lieferbar sind und gegen andere ausgetauscht werden müssen, ist der Erklärungsbedarf in den Apotheken immens hoch.
Das kann auch passieren, wenn ein Patent für ein Präparat ausläuft und eine andere Pharmafirma eine eigene Version (Generika) des Wirkstoffs auf den Markt bringt. Aber es sind auch die Rabattverträge, die die Krankenversicherungen mit den Herstellern schließen, die schon seit vielen Jahren dazu führen, dass von heute auf morgen ein Medikamente gegen ein anderes, wirkstoffgleiches ausgetauscht werden muss.
Im Falle des fehlenden Fiebersafts für Babys schritten übrigens einige Apotheken trotz fehlenden Personals selbst zur Tat und stellen ihn selber her. „Das war aber schwierig, da man den Grundstoff nicht mehr bekommt. Und später dann nur zu horrend höheren Preisen als ein Fertigarzneimittel, weil es ein enorm hoher Aufwand war, ihn zu produzieren“, sagt Sibel Sancakli. Aber immerhin: Es war möglich. Brigitte Jurczyk