„In Hamburg gibt es noch viel zu tun“, so Hamburgs Senatskoordinatorin Ulrike Kloiber
Sie sind jetzt schon fast ein Jahr im Amt. Haben Sie sich gut eingelebt?
Zugegebenermaßen waren die ersten drei Monate sehr turbulent für mich. Das waren gar nicht mal so sehr die Themen – obwohl mir da zum Teil immer noch die Tiefe fehlt, also das wirklich gute Fachwissen, sondern vielmehr die fehlende Erfahrung, wie behördliches und politisches Handeln läuft. Manchmal fehlt mir noch das Verständnis für bürokratisches Handeln. Dafür habe ich im Inklusionsbüro Mitarbeitende, die mehr Erfahrung haben und mir diesen mühsamen Part abnehmen. Zu meinen Highlights des ersten Jahres gehört sicherlich im Bereich Arbeit der Inklusionspreis und der DUO-Day. Den können Sie sich vorstellen wie den Girls and Boys Day, nur für Menschen mit Behinderungen. Hier unterstütze ich im Rahmen einer Schirmherrschaft alsterarbeit, ARINET, Bergedorfer Impuls, Das Rauhe Haus, die Elbe-Werkstätten und die Hamburger Arbeitsassistenz dabei, Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Arbeit war somit ein zentrales Thema, aber das ist es im Leben der Menschen ja auch. Bei der derzeitigen Werkstattentlohnung muss sich, insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Inflation, dringend etwas ändern. Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen wollen, müssen Unterstützungsleistungen übersichtlich und im besten Falle aus einer Hand zur Verfügung gestellt werden.
Worin besteht der Vorteil, dass es sich bei Ihrer Stelle nicht mehr um ein Ehrenamt handelt?
Inklusion ist ein Thema, das alle Bereiche betrifft: Verkehr, Bau, Kultur, Bildung, Arbeit, Wohnen und Sport zum Beispiel. Hinzu kommen Einzelanfragen oder Beschwerden von Menschen mit Behinderungen und/oder ihren Angehörigen. Demgegenüber stehen viele verschiedene Menschen mit Behinderungen, die keine gleichwertigen Lebensbedingungen vorfinden. Egal ob man im Rolli sitzt, intelligenzgemindert ist, blind, gehörlos, psychisch erkrankt ist oder mit Mehrfachbehinderungen lebt. Letztendlich soll ich mich auch für den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft einsetzen und die Interessen von Stiftungen, Vereinen und Verbänden dem Senat nahebringen. Wie konnte man das bislang ehrenamtlich schaffen? Ich habe mich auf das Amt beworben, da ich gerne etwas voranbringe, also eher eine Entwicklerin bin. Die Vollzeitstelle gibt mir die Chance, nicht nur reaktiv zu handeln, sondern aktiv Dinge zu bewegen. Da ich weisungsunabhängig bin, verfüge ich über viel Gestaltungsspielraum. Für zwei wichtige Themen gibt es dieses Jahr deshalb Fachtage. Der erste Fachtag, „Was macht in Hamburg eine inklusive Flüchtlingspolitik aus?“, fand bereits statt. Wir möchten jetzt unter Beteiligung von Politik und Behörden ein Identifizierungsverfahren und geeignete Sprachkurse für alle Menschen mit Behinderungen auf den Weg bringen. Unterkunft und Beratung werden weitere wichtige Themen mit allen Beteiligten sein. Der zweite Fachtag, „Bildung all inclusive – vom Studium in die Gesellschaft wirken“, wird Anfang September stattfinden. Hier wird es darum gehen, insbesondere mit Führungskräften, Entscheider* innen aus Politik und öffentlicher Verwaltung, Lehrenden, Universitäts- und Hochschulmitarbeitenden sowie Studierenden zu erarbeiten, wie wir eine inklusive Hochschule gemeinsam voranbringen können. Denn wenn wir wollen, dass sich etwas in unserer Gesellschaft ändert, dann müssen die Führungskräfte von morgen Ahnung von einer inklusiven Gesellschaft haben.
Was steht bei Ihnen in den kommenden Monaten an, wo gibt es besonderen Handlungsbedarf?
Zunächst müssen aus den beiden Fachtagen in den Herbst hinein Handlungen folgen. Außerdem müssen wir dringend das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auf den Weg bringen, das bis 2025 umzusetzen ist. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz besagt, dass wir auch in Hamburg verpflichtet sind, technisch nutzbare Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anzubieten. Zum Beispiel: Hardwaresysteme für Computer für Endverbraucher, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, interaktive Verbraucherendgeräte für Telekommunikationsdienste und Verbraucherendgeräte, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden.
Wo stehen wir in Hamburg, wenn es um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht?
Das ist eine Frage der Perspektive. Hamburg steht gerade mitten in der Entwicklung des neuen Landesaktionsplans und hat unter Pandemiebedingungen betrachtet eines der besten Beteiligungsverfahren der Bundesrepublik umgesetzt. Aber es ist wie beim Fußball: Am Ende zählt nur das Tor. Sprich, welche von den Maßnahmenvorschlägen werden nächstes Jahr umgesetzt? Im Verkehr tut sich einiges bei Aufzügen an den Haltestellen und den Inklusionstaxis. Andererseits kommt jetzt der Scooter-Park-Wildwuchs auf der Negativseite dazu. Beim Wohnungsbau bewegt sich etwas. Verständnis rund um das Thema barrierefreies Bauen kommt bei immer mehr Mitarbeitenden der Behörden an. Dolmetschende gibt es einfach zu wenig und das bremst gleichberechtigte Teilhabe und Teilgabe ungemein. Es gibt immer mehr bezirkliche Inklusionsbeiräte, die eine gleichberechtigte Teilhabe in ihren Stadtteilen vorantreiben.
Und mal ernsthaft: Würden wir nicht alle von einer inklusiven Stadt profitieren? Es ist für jeden gut, wenn sich alle Türen in Zentren und Behörden von selbst öffnen. Das ist auch für Eltern mit Kinderwagen oder dem Single mit vollen Einkaufstaschen oder Rolli super. Es ist klasse, wenn im Kino oder in der Oper untertitelt wird. Wer versteht schon immer, was die da singen? Es ist hilfreich, wenn in der Bahn die nächste Station angesagt wird. Nicht nur für Blinde, sondern auch für Tourist*innen oder weil die Bahn so voll ist, dass ich das Schild nicht lesen kann. Es ermöglicht Selbstbestimmung, wenn der Aufzug immer geht und ich nicht eine Station weiterfahren oder mein Rad die Treppen schleppen muss. Rolli schleppen wäre sogar unmöglich. Es gibt also noch viel zu tun. Helfen Sie bitte alle mit! csl