Martina Tabel
:: Ein Tag im April 2009. Fahle Frühlingssonne scheint in mein Büro. Rechts der Bildschirm, vor mir der Schreibtisch mit einem großen Abreißblock für schnelle Notizen, daneben das Adressbuch, Kugelschreiber und stapelweise Papp-Mappen, auf denen „Bargteheide“, „Kultur“ oder „Ahrensburg“ steht. Es ist still. Mein Blick geht nach draußen auf die Rathausstraße. Lauter vertraute Gesichter. „Unsere Leser“, geht es mir durch den Kopf. Ich erinnere mich genau: Das eigenartige licht, die Stille und dann das Klingeln des Telefons.
Im Krankenhaus weiß niemand etwas über den Verbleib
Ich nehme den Hörer ab. Zu diesem Zeitpunkt liegt Gertrud Peemöller bereits seit mehr als fünf Wochen in der Aufbewahrungshalle des Öjendorfer Friedhofs. Gestorben am 17. März, im alter von 85 Jahren, von den Behörden vergessen, abgelegt im Kühlraum. Keine ihrer Freundinnen, keine zuständige Person weiß, wo die Verstorbene ist. Es trifft mich wie ein Keulenhieb.
„Es kann doch nicht sein, dass in Deutschland ein Mensch verschwindet.“ Ute Borchardt ist am Apparat. Und sie ist aufgebracht. Die 67 Jahre alte Ahrensburgerin lebt am Reeshoop, im Nachbarhaus von Gertrud Peemöller. „Jeden Tag habe ich ihr zugewinkt und mit ihr geplaudert. Jetzt ist sie weg. Einfach weg.“
:: Ein Tag im April 2009. Fahle Frühlingssonne scheint in mein Büro. Rechts der Bildschirm, vor mir der Schreibtisch mit einem großen Abreißblock für schnelle Notizen, daneben das Adressbuch, Kugelschreiber und stapelweise Papp-Mappen, auf denen „Bargteheide“, „Kultur“ oder „Ahrensburg“ steht. Es ist still. Mein Blick geht nach draußen auf die Rathausstraße. Lauter vertraute Gesichter. „Unsere Leser“, geht es mir durch den Kopf. Ich erinnere mich genau: Das eigenartige licht, die Stille und dann das Klingeln des Telefons.
Im Krankenhaus weiß niemand etwas über den Verbleib
Ich nehme den Hörer ab. Zu diesem Zeitpunkt liegt Gertrud Peemöller bereits seit mehr als fünf Wochen in der Aufbewahrungshalle des Öjendorfer Friedhofs. Gestorben am 17. März, im alter von 85 Jahren, von den Behörden vergessen, abgelegt im Kühlraum. Keine ihrer Freundinnen, keine zuständige Person weiß, wo die Verstorbene ist. Es trifft mich wie ein Keulenhieb.
„Es kann doch nicht sein, dass in Deutschland ein Mensch verschwindet.“ Ute Borchardt ist am Apparat. Und sie ist aufgebracht. Die 67 Jahre alte Ahrensburgerin lebt am Reeshoop, im Nachbarhaus von Gertrud Peemöller. „Jeden Tag habe ich ihr zugewinkt und mit ihr geplaudert. Jetzt ist sie weg. Einfach weg.“
Ich traue meinen Ohren nicht. Seit Wochen fahnden Ute Borchardt, Edith Kurp und weitere Nachbarinnen nach der alten Dame. Die Antwort der Betreuerin: „Nach dem Tod erlischt mein Auftrag.“ Auch im Krankenhaus weiß niemand Bescheid. Nicht einmal im Amtsgericht. Die Nachbarinnen wenden sich schließlich an die Stormarn-Ausgabe des Abendblattes. Ute Borchardt: „Wir wollen wenigstens wissen, wo wir eine Blume hinlegen können.“ Das Ergebnis der Recherche ist niederschmetternd: Gertrud Peemöller ist in einem Krankenhaus in Hamburg-Wandsbek gestorben. Im dortigen Standesamt fehlen Unterlagen. Das amt kann daher weder die Sterbeurkunde ausstellen noch das Rathaus in Ahrensburg informieren. Laut Melderegister lebt Gertrud Peemöller noch. Es ist gruselig.
Der Sprecher der Friedhöfe Hamburg ist betroffen. „Da hat jemand schon ein soziales Netzwerk und gerät doch in die Mühlen der Verwaltung“, sagt er. Und die mahlen so: ohne Sterbeurkunde keine Eröffnung des Testaments und damit keine Beisetzung.
Es kommt noch schlimmer. „Es gab 25 pathologische Sonderfälle“, sagt der Friedhofssprecher. „Der Gerichtsmediziner musste die Leichen untersuchen.“ Die anderen mussten warten. In der Kühlhalle. Im Fall der Ahrensburgerin mehr als drei Monate. Ich frage mich: Wäre das auch so gelaufen, wenn sie noch Verwandte gehabt hätte?
Es kommt noch schlimmer. „Es gab 25 pathologische Sonderfälle“, sagt der Friedhofssprecher. „Der Gerichtsmediziner musste die Leichen untersuchen.“ Die anderen mussten warten. In der Kühlhalle. Im Fall der Ahrensburgerin mehr als drei Monate. Ich frage mich: Wäre das auch so gelaufen, wenn sie noch Verwandte gehabt hätte?
„Eine Katastrophe“, sagt Edith Kurp. „Heute ist es Frau Peemöller, morgen Frau Schulze.“ Auch Ute Borchardt urteilt hart: „Das Heim, die Betreuerin, das Krankenhaus: alle haben versagt. So kann man mit Menschen nicht umgehen.“ Und damit meint sie nicht nur das Verschwinden der Toten, sondern auch das einsame Sterben der Freundin.
Im Oktober 2008 beginnt die traurige Geschichte. Frau Peemöller stürzt in ihrer Wohnung. Edith Kurp findet sie. Die alte Dame kommt ins Krankenhaus nach Volksdorf – und nicht wieder zurück. Da taucht die Frage das erste Mal auf: Wo ist sie? Ihr Hausarzt weiß es: Sie wohnt mittlerweile im Asklepios-Pflegezentrum am Reeshoop. Gunda Dohrendorf und Edith Kurp gehen hin. „Es war deprimierend. Hinterher haben wir geheult“, sagt Edith Kurp später.
Im Oktober 2008 beginnt die traurige Geschichte. Frau Peemöller stürzt in ihrer Wohnung. Edith Kurp findet sie. Die alte Dame kommt ins Krankenhaus nach Volksdorf – und nicht wieder zurück. Da taucht die Frage das erste Mal auf: Wo ist sie? Ihr Hausarzt weiß es: Sie wohnt mittlerweile im Asklepios-Pflegezentrum am Reeshoop. Gunda Dohrendorf und Edith Kurp gehen hin. „Es war deprimierend. Hinterher haben wir geheult“, sagt Edith Kurp später.
Im Dezember stehen wieder Sanitäter vor dem ehemaligen Wohnhaus von Frau Peemöller – mit ihr auf der Trage. „Wissen die denn nicht, dass sie im Heim lebt? Und warum wissen wir nicht, dass sie wieder im Krankenhaus war?“, fragen die Freundinnen. Erneut keine Information. Und so bleibt es bis zum Schluss. Als die beiden Frauen im März Gertrud Peemöller in der Klinik in Wandsbek besuchen wollen, ist sie bereits seit drei Tagen tot.
„Es ist tröstlich, jetzt wenigstens zu wissen, wo die Tote ist. Allein hätten wir das nicht geschafft“, sagt Vera Duddek. Der Satz geht mir unter die Haut. Die Freundinnen hätten aufgegeben im Kampf um die letzte Würde eines Menschen. Aber sie sind drangeblieben, bis sich der Behörden-Wirrwarr nach einer siebenteiligen Berichterstattung lichtete. Ich bewundere die Frauen noch jetzt und bin dankbar für ihr Vertrauen.
„Es ist tröstlich, jetzt wenigstens zu wissen, wo die Tote ist. Allein hätten wir das nicht geschafft“, sagt Vera Duddek. Der Satz geht mir unter die Haut. Die Freundinnen hätten aufgegeben im Kampf um die letzte Würde eines Menschen. Aber sie sind drangeblieben, bis sich der Behörden-Wirrwarr nach einer siebenteiligen Berichterstattung lichtete. Ich bewundere die Frauen noch jetzt und bin dankbar für ihr Vertrauen.
Der Verein SOS Kinderdörfer weltweit trat schließlich das Erbe von Frau Peemöller an, zahlte Bestattung, Grabpflege und Gravur und richtete am 11. Juni eine Trauerfeier aus. Die Nachbarinnen waren da, jede mit einer Rose in der Hand. Für diesen Abschied hatten sie gekämpft. Und für den Wunsch von Frau Peemöller, im Familiengrab zu ruhen. Anfang Mai hatte ich das Grab gefunden und so den Behördenweg zur friedlichen Stelle geebnet, wo schon ihr Name stand.
Die Redaktion ist aus der Rathausstraße weggezogen, ich bin im Ruhestand. Aber manche meiner alten Papp-Mappen liegt heute noch im Büro. Auf einer steht „Peemöller“. Sie wegzuwerfen bringe ich nicht übers Herz.
Die Redaktion ist aus der Rathausstraße weggezogen, ich bin im Ruhestand. Aber manche meiner alten Papp-Mappen liegt heute noch im Büro. Auf einer steht „Peemöller“. Sie wegzuwerfen bringe ich nicht übers Herz.
Ich lese das Abendblatt weil...
… ich das kulturelle Geschehen im Kreis damit im Blick habe
Katrin Offen, Organisatorin im Kultur- und Bildungszentrum (KuB) in Bad Oldesloe: Für die Arbeit im Kub ist es essenziell, das kulturelle Geschehen im Kreis Stormarn im Blick zu haben. Wie schön ist es da, dass mich das Abendblatt jeden Morgen zuverlässig mit allen Informationen versorgt – und so wandert die Printausgabe täglich über die Schreibtische des Kulturbüros. Neben der Objektivität der Berichterstattung schätze ich die engagierte journalistische Arbeit der Redaktion. Auf 70 weitere Jahre!
Ich lese das Abendblatt weil...
… es journalistisch profiliert aus unserer Region berichtet
Helgo Matthias Haak, Pastor aus Ahrensburg: Das Abendblatt berichtet engagiert und journalistisch profiliert aus unserer Region. Wenn ich wissen will, was in Ahrensburg und Umgebung passiert, ist der Regionalteil unersetzlich. Wie die Redaktion den Skandal sexuellen Missbrauchs, der in der evangelisch-lutherischen Kirche passiert ist, mutig und konsequent aufgedeckt und in ihrer Berichterstattung verfolgt hat, ist für mich ein ganz starkes Stück Journalismus. Herzlichen Dank dafür!