Feedback kann wertvoll sein – oder auch nicht
Elina Eickstädt hat viel erreicht: Sie ist Azubi des Jahres geworden, der Ausbildungsbetrieb will sie weiterbeschäftigen, und die Hotelsoftware läuft viel besser, seit die Abiturientin sich darum gekümmert hat. Dafür hat Elina das Buch „Automate the Boring Stuff with Python“, wie sich langweiliges Zeugs mit der Programmiersprache Python automatisieren lässt, angewendet und Feuer gefangen: „Ich will Informatik studieren“, verkündet die frischgebackene Hotelfachfrau und erntet damit viel Kritik: „Du warst doch nie gut in Mathe, wieso tust du dir das an?“, fragen Freunde. „Das wird sicher nicht leicht, da gibt es bestimmt was Besseres“, meint die Familie.
Eine Entscheidung für die Zukunft zu fällen wird umso schwerer, wenn diese auch noch gegen das negative Feedback aus dem Umfeld durchgesetzt werden muss. Die Karriereberaterin Ragnhild Struss rät daher allen Schulabgängern, zunächst Sicherheit in der eigenen Meinungsfindung zu erlangen, viel zu recherchieren, bevor andere um eine Rückmeldung gebeten werden. Am besten sorgfältig ausgewählte Experten und nicht gleich das gesamte Netzwerk: „Man muss sich das vorstellen wie einen kleinen Gartenzaun, an dem man erst ein paar Fragen stellt, bevor man die Tür überhaupt öffnet.“
Leichter gesagt als getan. Elina Eickstädt jedenfalls war verzweifelt: „Das sind doch meine Freunde!“, dachte sie. „Zumindest meine Familie müsste mich doch unterstützen!“ Immerhin gab es unter den vielen negativen Stimmen eine Ausnahme. Sie war vom Fach und gehörte Elinas damaligem Freund: „Das Informatikstudium ist wirklich hart, aber das hat nichts damit zu tun, dass du eine Frau bist. Auch Jungs sitzen nächtelang in der Bibliothek und lernen – und fallenden noch durch Mathe. “Das tat gut, denn Elina hatte sich gerade anderweitig verliebt – in die Informatik. „Das ist ein Fach, das unser Leben immens beeinflusst.“ Als frühere Politik-Profilschülerin will Elina die Komplexität und Dynamik dahinter verstehen. „Es verändert sich konstant und ist faszinierend.“
Es gibt für jede Person den passenden Platz, ist Ragnhild Struss überzeugt. Feedback kann dabei helfen, ihn zu finden – solange es von Leuten kommt, die zu dem Thema etwas zu sagen haben und sich nicht nur berufen fühlen, eine Meinung zu äußern, zu bewerten und eigene Motive unterzumischen. „Nimm nur das Feedback von Leuten an, die du auch um Rat fragen würdest“, so der Tipp der Beraterin an alle Berufseinsteiger. Schulnoten sollten dabei nicht überbewertet werden: „Sie spiegeln das Wissen in einem Fach wider, aber nicht unbedingt das Potenzial.“ Gerade mutige Entscheidungen riefen besonders viele Miesmacher und Neider auf den Plan. Um sich vor ihnen zu schützen, sollte das Feedback erstmal nur als Sachinformation und nicht auf der Beziehungsebene betrachtet werden: „Jedes Feedback ist auch eine Selbstaussage über den, der es formuliert.“ Elina Eickstädt ist bei ihrer Entscheidung geblieben – zum Preis „von sehr vielen Tränen und schlaflosen Nächten“, wie sie sagt. Als sie an der Fernuniversität Hagen erst einmal durch alle Klausuren fiel, meldeten sich die Stimmen der anderen zu Wort: „Siehst du, haben wir dir doch gesagt, dass du das nicht kannst.“ Nebenbei konnte Elina sich aber in diversen Jobs weiterentwickeln, sogar bis zum „Team-Tekki“ in einem Start-up. Mittlerweile studiert sie an der HAW dual – finanziert von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz. Ein Erfolg, den auch ihre Mutter voll und ganz anerkennt: „Sie unterstützt mich eigentlich immer, aber wollte auch, dass es nicht zu hart für mich wird.“ Eltern sollten bei ihrem Feedback sehr viel Vorsicht walten lassen, mahnt Ragnhild Struss.„Gerade Eltern haben mit ihrer Meinung viel mehr Wirkung auf die Kinder, als sie selbst glauben.“ Struss fordert Dialog statt Dogma. Ein guter Feedbackgeber stellt erst einmal Fragen: Warum glaubst du, dass die IT gut zu dir passt, wie bist du darauf gekommen, welches Ziel verfolgst du damit, beispielsweise. Auch als Hamburger Meisterin im Gewichtheben bekommt Elina Eickstädt nicht nur positives Feedback. Die 24-Jährige ist längst stark genug, um darauf eine Antwort zu haben: „Es ist nicht mein Job, den anderen zu gefallen, sondern mich mit dem wohlzufühlen, was ich mache.“ Deike Uhtenwoldt
Intensivcamp
Kompetentes Feedback geben nicht nur kommerzielle Karriereberatungen wie Struss & Claussen Personal Development, sondern auch gemeinnützige Organisationen: Wer sich online mit Lebenslauf, Zeugnis und Motivationsschreiben bei den „Komplizen“ bewirbt, kann ein Stipendium für ein passendes Berufsorientierungsprogramm bekommen. Vom 5. bis 9. Oktober 2020 findet das Berufsorientierungs-Intensivcamp in Hamburg statt mit maximal 15 Teilnehmern.
Mehr Infos unter: https://die-komplizen.org