Psychologin Lisa Hauptmann am Asklepios-Klinikum Harburg: Angststörungen werden oft viel zu spät erkannt und behandelt
Angststörungen zählen nach Depressionen zur zweithäufigsten Form seelischer Erkrankungen in Deutschland. Viele Betroffene nehmen allerdings erst sehr spät wahr, dass und wie ihnen die Psyche zu schaffen macht. Warum das so ist, erläutert Lisa Hauptmann, Leitende Psychologin am Zentrum für seelische Gesundheit des Asklepios Klinikums Harburg, im Gespräch mit dem Hamburger Ärztemagazin.
Frau Hauptmann, was versteht man genau unter Angststörungen?
Es gibt verschiedene Formen wie Panik oder soziale Phobie und andere Störungen, die darunter fallen, wie etwa Flugangst oder die Generalisierte Angststörung.
Wodurch zeigt sich eine Angststörung?
Oftmals durch körperliche Symptome, die sich viele gar nicht erst als Angststörung erklären können, etwa durch unerklärlichen Schwindel, Herzrasen oder starkes Schwitzen. Das führt oft dazu, dass diese Menschen eine physische Ursache suchen und etwa zum Hausarzt oder Kardiologen gehen. So wird eine Angststörung oft erst spät erkannt.
Das bedeutet im Alltag?
Dass die physischen Phänomene immer wiederkehren. Wir alle kennen Höhenangst oder die Angst vor Spinnen. Wenn aber jemand Angst hat, mit dem Bus zu fahren, zu fliegen, dann wird es schon problematischer, denn dann beeinflusst es die Lebensführung.
Das heißt, diese Menschen können lange auch etwas vermeiden und fallen dabei gar nicht auf?
Ja, oft wollen sie gerade besonders gut funktionieren. Und da fällt es ja nicht so auf, wenn jemand Fahrrad fährt statt Bus. Aber irgendwann fällt es eben doch einmal auf. Erst wenn die Belastung zu groß wird und die Vermeidung immer mehr Bereiche umfasst, kommen diese Menschen zu uns.
Das heißt, die Betroffenen gehen eher später zum Psychologen, weil zuerst die körperlichen Symptome im Vordergrund stehen und zudem auch Vermeidung teilweise erfolgreich ist?
Manchmal eher nach Jahren als nach Monaten, anders als bei anderen psychischen Erkrankungen.
Wen trifft diese Erkrankung häufiger?
Eher Frauen als Männer. Studien sagen, dass 20 Prozent der Frauen damit einmal in ihrem Leben zu tun haben, bei Männern eher halb so viele. Ansonsten ziehen sich die Angststörungen durch alle Altersklassen und sozialen Schichten.
Welche Therapie eignet sich zur Behandlung?
Das ist ganz klar die kognitive Verhaltenstherapie, bei der die Patienten im Gespräch ihren Ängsten einen Namen geben und sie hinterfragen können. In einem weiteren Schritt setzen wir dann auf die Konfrontation. Indem sich diese Menschen dem, was ihnen Angst macht, direkt aussetzen, lernen sie allmählich, dass es für sie ungefährlich ist. Das muss natürlich gut vorbereitet werden und geschieht oft in Begleitung.
Kommen da auch stationäre Aufenthalte in Betracht?
Ja, aber im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen eher seltener.
Wie sieht es mit medikamentöser Unterstützung aus?
Da sind die so genannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer das Mittel der Wahl. Sie werden auch bei Depressionen verschrieben, sind in der Regel gut verträglich und machen nicht abhängig. Sie wirken in diesem Fall positiv auf die Signalübertragung im Gehirn.
Was wissen Sie über mögliche Ursachen der Angststörungen?
Es kann sein, dass es eine Veranlagung gibt, die sogar genetisch bedingt ist. Oft aber ist es ein Erlernen, entweder durch ein traumatisches Erlebnis oder noch häufiger, weil die Eltern eine Ängstlichkeit und Vorsicht vorgelebt haben. Dann ist es natürlich sinnvoll, diese Weitergabe an eine weitere Generation durch eine Therapie zu unterbrechen.
Sind wir in da in Deutschland gut versorgt?
Leider nein, wie das generell für Psychotherapie gilt. Es gibt meiner Meinung nach zu wenige Kassensitze, und damit zu wenige Praxen. Und das wird derzeit durch die Pandemie nicht besser, denn viele Angebote wie Gruppentherapien fallen natürlich aus. Detlev Karg