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Themenwelten Hamburg
Abschied

Komm, mach dich auf den Weg!

„Tacheles reden“ über Sterben und Tod: Sterbeammen und -gefährten begleiten Menschen, sobald diese eine entsprechende Diagnose bekommen haben

Claudia Cardinal. Foto: Privat
Claudia Cardinal. Foto: Privat
Claudia Cardinal ist gelernte Goldschmiedin, sie arbeitete als Sterbe- und Trauerbegleiterin, entwickelte nach und nach das Berufsbild der Sterbeamme, schrieb – inzwischen sechs – Bücher zu den Themen Sterben, Tod und Trauer und gründete 2001 den ersten Standort ihrer Sterbeammen-/Sterbegefährten-Akademie nach Claudia Cardinal ® mit Hauptsitz in Hamburg. Ein Gespräch mit ihr über ihre persönliche Motivation, die Aufgaben der Sterbeammen und -gefährten und einen wünschenswerten Platz für die Themen Sterben und Tod in unserer Gesellschaft.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben und schließlich die Akademie für Sterbeammen und -gefährten gegründet haben?

1986 ist meine Tochter mit sechseinhalb Jahren an Leukämie gestorben. Danach wurde ich krank. Ich hatte Kreislaufbeschwerden und Panikattacken. Ein Arzt hat mir Valium verschrieben. Später habe ich eine Heilpraktikerin-Ausbildung gemacht und bin dabei immer wieder auf Krankheiten gestoßen, die Trauer im Hintergrund haben. Irgendwann hatte ich Worte für meine Probleme: Mir war in meiner Trauer der Sinn des Lebens abhandengekommen. Präparate haben da ihre Grenzen. Aber die Frage nach dem Sinn ist ein heißes Eisen. Eine Krise, die eine Krise sein will, stellt den Sinn in Frage. Da traut sich kaum jemand ran. Das wollte ich ändern.

Wann sind Sterbeammen und -gefährten gefragt?

Wir sind dann gefragt, sobald ein Abschiedsprozess beginnt, also wenn eine entsprechende Diagnose im Raum steht. Dann beginnt das Spiel zwischen Himmel und Hölle. Das können Jahre sein, bevor ein Mensch zum Beispiel in ein Hospiz kommt. Vorher leben alle zwischen Hoffnung und Ohnmacht.

Was tun Sterbeammen und -gefährten?

Wer Sterbende begleitet, kommt mit Tipps und Tricks nicht weiter. Jeder Abschied ist individuell. Ich sehe uns als diejenigen, die nicht kneifen, die „Tacheles reden“ und Sterbenden helfen, zu sehen, was sie am Leben haben und wie sie ein gutes, ein „großes“ Leben führen können. Ich bin in einer solchen Begleitung sehr ehrlich. Manchmal habe ich den Eindruck, ich bin die, die Mut macht, selbst noch vor dem letzten Atemzug sagt: „Komm. Mach dich auf den Weg!“

Woher nehmen Sie selbst den Mut für diese Aufgabe?

Nach langer Auseinandersetzung mit dem Thema sehe ich es heute ganz pragmatisch. Der Begriff Amme lehnt sich ja nicht ohne Grund an den der Hebamme an. Vor der Geburt meines ersten Kindes hatte ich auch Angst. Aber die Menschheit würde schließlich nicht existieren, wäre eine Geburt nicht auszuhalten. Ich muss den Menschen zutrauen, dass sie es schaffen – auch das Sterben. Dafür ist es wichtig, den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl zu kennen.

Welchen Platz wünschen Sie sich für das Thema Sterben in unserer Gesellschaft?

Wir leben in einer pervertierten Gesellschaft, in der Sex und der Tod noch immer große Tabus sind. Ich glaube, wir würden insgesamt wertschätzender miteinander umgehen, nach einem Konflikt vielleicht schneller wieder aufeinander zugehen, statt zu denken „Das kann ich auch morgen noch regeln“. Heute sind wir oft erst nett zu Menschen, wenn sie austherapiert sind. Aber was wäre, wenn uns allen jederzeit bewusst wäre: Du bist ja genauso sterblich wie ich!? ivo


Wo ist Papa jetzt?

Eine Frage, die Cornelia Hausberg aus ihrer Tätigkeit als Trauerbegleiterin gut kennt

Sie selbst war vier Jahre alt, als sie ein Elternteil verlor. Und wie viele Kinder war sie zu jung, oder wurde für zu jung gehalten, das Geschehene zu verstehen. Durch Zufall kam sie 2008 auf der Suche nach einer sinnvollen, ehrenamtlichen Tätigkeit zum Hamburger Zentrum für Kinder und Jugendliche in Trauer. „Die Ausbildung zur Trauerbegleiterin hat mich auch den eigenen Verlust aufarbeiten lassen“, sagt Hausberg. Sie ist nun froh, dass sie Hilfe anbieten kann. „Es macht viel Freude und nur wenig Aufwand, den Kindern und jungen Erwachsenen bei der Verarbeitung ihrer Trauer zu helfen“, ergänzt sie. Viel zu sehr werden ihrer Meinung nach die Themen Tod und Sterben immer noch umgangen. „Dabei“, so ihre Erfahrung, „erwächst aus Leid auch immer ein neuer Reichtum“. Die Arbeit als Trauerbegleiterin macht ihr das jedes Mal aufs Neue klar.

Die Akademie

In der Sterbeammen-/Sterbegefährten-Akademie nach Claudia Cardinal® lernen Teilnehmende in einer auf zwei Jahre angelegten, nebenberuflichen Fortbildung, wie sie Sterbende und deren Angehörige begleiten. Ziel ist es, dass die Teilnehmenden in der Lage sind, sowohl Sterbende als auch trauernde Nahestehende in dem Prozess um Abschied und Trauer zu begleiten. Im Gegensatz zu Sterbebegleiter/innen, die in Hospizen und damit mit Menschen in einer späten Phase des Sterbens arbeiten, beginnt die Begleitung durch Sterbeammen und -gefährten bereits mit der Diagnose und oft auch über mehrere Jahre hinweg. Auch Menschen in tiefer Krise und Familien nach Suiziden können die Hilfe von Sterbeammen/Sterbegefährten in Anspruch nehmen.

Weitere Informationen: www.claudia-cardinal.de, www.sterbeamme.de

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