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Volle Kanone

Gegner und Befürworter der technischen Beschneiung von Skigebieten führen nicht weniger als einen Glaubenskrieg. Der Versuch einer Versachlichung

Ohne Skikanonen würden viele Pisten lange grün bleiben. Foto: imago
Ohne Skikanonen würden viele Pisten lange grün bleiben. Foto: imago
Text: Christoph Schrahe

Die Hochgebirge stehen für unberührte Natur. Ihre Gipfel sind sagenumwoben, ihre Wände gebären Helden des Alpinismus, und ihre Täler sind die letzten Refugien traditioneller Lebensweisen. So war es bis vor wenigen Jahrzehnten auch noch in den Alpen. Die Berge bereisenden Städter neigten angesichts dessen dazu, romantisch zu verklären, was für dort lebende Menschen vor allem Mühsal und Entbehrung bedeutete. Bis heute prägt die Sehnsucht nach einem gedacht einfachen Leben und Ursprünglichkeit den Blick der städtisch dominierten Gesellschaft auf die Berge und hat sie emotional aufgeladen. So stark, dass manche ihren Bewohnern das Recht absprechen, Dinge zu tun, die in einem seit Jahrhunderten durch die Industrialisierung geprägten urbanen Umfeld selbstverständlich sind.

Etwa das Bewässern zur Steigerung der Erträge aus Grund und Boden. Zumindest, wenn diese Bewässerung nicht der Förderung des Pflanzenwachstums, sondern dem Aufbau einer Schneedecke dient, mittels einer Methode, die für viele selbst ernannte Alpenschützer ein Sakrileg, eine Versündigung an der ursprünglichen Natur ihrer geheiligten Berge darstellt: der technischen Beschneiung mithilfe von Schneekanonen. Für den Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sind Schneeerzeuger, wie man die Geräte aufseiten ihrer Befürworter etwas lieber nennt, ein „Symbol menschlicher Unbelehrbarkeit in Zeiten des Klimawandels“, die wasser- und stromfressende Schneekanone ein Sinnbild für einen verschwenderischen Umgang mit Ressourcen.
  
Die hohe Verwundbarkeit des Wintersports gegenüber steigenden Temperaturen macht diesen zudem zu einer idealen Projektionsfläche für den Vorwurf mangelnder Nachhaltigkeit. So zielt die Kritik an der Beschneiung neben dem Ressourcenverbrauch zunehmend auf deren in Folge des Klimawandels ungewisse wirtschaftliche Perspektiven. Die Beschneiung zur Sicherung des Skitourismus könne allenfalls eine Übergangslösung sein, der Umstieg auf schneelose Angebote die einzig adäquate Reaktion auf Klimaveränderungen, die den Wintersport unterhalb von 1500 Metern Seehöhe schon bald unmöglich machen würden.
  
Auch die Pisten des Skiberges Hochwurzen bei Rohrmoos werden künstlich beschneit. Foto: picture alliance
Auch die Pisten des Skiberges Hochwurzen bei Rohrmoos werden künstlich beschneit. Foto: picture alliance
An der Seilbahnwirtschaft, die ihr Geld zu 90 Prozent im Winter verdient, hängen in Österreich rund 100.000 Arbeitsplätze, alpenweit etwas das Dreifache. Wäre es überhaupt möglich, diesen Wirtschaftsmotor zu ersetzen? Selbst beim Deutschen Alpenverein, der die technische Beschneiung mit Vehemenz verteufelt, scheint man zu wissen, dass es unmöglich wäre, auch nur annähernd so viele Gäste im Winter zum Wandern oder Ähnlichem in den Alpenraum zu locken. Der DAV bietet über seinen eigenen Reiseveranstalter im Winter Wanderreisen nur in weit entfernte, warme und lediglich per Flugzeug zu erreichende Gebirge an. In den Alpen steht Schneesport im Mittelpunkt – auch in beschneiten Skigebieten.

Verzichtet ein Ort auf technische Beschneiung und damit auf Schneesicherheit, dürften die meisten seiner Skigäste schlicht in andere Orte ausweichen oder den Schneesport an den Nagel hängen. Das wäre spätestens dann der Fall, wenn alpenweit der Empfehlung zum Verzicht auf schneegebundene Angebote gefolgt würde. Ein Ausstieg käme einem freiwilligen Verzicht auf Arbeit und Einkommen gleich und scheidet für Branchenvertreter daher aus. Stattdessen investieren die Bergbahnunternehmen in die Modernisierung ihrer Skigebiete: Allein in Österreich zum Winter 2018/19 rund 600 Millionen Euro, in die Beschneiung investierte man in den letzten zehn Jahren in der Alpenrepublik insgesamt 1,4 Milliarden Euro.

Treibt die Branche trotzdem oder gerade deswegen in den wirtschaftlichen Ruin? Schließlich helfen, wenn es zu warm ist, auch keine Schneekanonen. Und es wäre nicht der erste zu spät vollzogene Strategiewechsel der Wirtschaftsgeschichte. Was aber gerne übersehen wird: Bisher war der technische Fortschritt bei der Beschneiung schneller als der Temperaturanstieg. Die Folge: Obwohl der Branche seit 20 Jahren ihr Untergang prophezeit wird, steht sie heute besser da als je zuvor. Galten Ende des letzten Jahrhunderts noch minus vier Grad als Grenze für eine wirtschaftliche Beschneiung, sind es heute minus zwei Grad. Bei kaltem Wasser und weniger als 100 Prozent Luftfeuchtigkeit schneit man auch schon bei minus einem Grad. Mit weniger Energie, als dazumal. Beschneiung geht inzwischen sogar ganz ohne Strom. Bei einer Fallhöhe von mehr als 200 Metern zwischen Wasserreservoir und Piste besorgt die Gravitation den für die in der Schweiz entwickelten Zero-E-Lanzen erforderlichen Wasserdruck. Die Druckluft für die Nukleation der Wassertropfen erzeugen die Lanzen mittels einer Strahlpumpe, welche die Energie der Wasserströmung nutzt, selbst.

Die physikalische Grenze des Fortschritts liegt dort, wo der produzierte Schnee wieder schmilzt: bei einer Umgebungstemperatur von null Grad Celsius. Selbst die größten Entwicklungssprünge würden nicht verhindern, dass es in vielen tiefer gelegenen Regionen vorbei wäre mit dem Wintersport, wenn die Temperaturen eines Tages gegenüber der Zeitspanne 1986 bis 2005 um vier Grad anstiegen. Dieses Szenario ist in den pessimistischsten Weltklimarat-Prognosen für 2100 avisiert. In den Alpen sind die Temperaturen bisher sogar stärker angestiegen als im globalen Mittel. Das jedoch vor allem im Sommer.

Die Wintertemperaturen zeigten in den letzten 30 Jahren hingegen einen Abwärtstrend. Bei einer Analyse der Daten der amtlichen Wetterdienste fand der Kitzbüheler Skitourismusforscher Günther Aigner „keine einzige Bergstation in den Alpen und in den deutschen Mittelgebirgen, die in den letzten 30 Jahren gleichbleibende oder wärmer werdende Wintertemperaturen anzeigt.“ Peter Huber, Chef der Bayerischen Zugspitzbahn AG, die in Garmisch-Partenkirchen Deutschlands größtes Skigebiet betreibt, hat daher eine klare Position: „Wir werden hier bei uns auch in 20 Jahren noch gute Skibedingungen haben. Punkt.“ Klingt so, als würde Huber seinem Glauben an eine Zukunft des Schneetourismus so bald nicht abschwören.
  
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