Anzeige
Themenwelten Hamburg
Die Pastoren Vera Lindemann, Tilmann Präckel und Christoph Schroeder prägen gemeinsam das Leben der Menschen an einem spirituellen Ort

Familien lieben die Kirche in Nienstedten, so Pastorin Vera Lindemann

An der Nordseite der Kirche steht als Denkmal die älteste der erhaltenen Glocken, 1647 in Glückstadt gegossen. Sie hat durch einen Sprung ihren Klang verloren Fotos: Michael Rahn

Sie gehört zu den schönsten Kirchen Hamburgs. Hier lassen sich Paare trauen, die von weit her kommen und ihre alten Wurzeln in die Stadt an der Elbe spüren wollen. Die Rede ist von der Kirche, die mitten im Stadtteil Nienstedten ruht. „Viele Familien lieben dieses Gotteshaus“, sagt Pastorin Vera Lindemann und strahlt. Auch sie fühlt sich eng mit der Kirche verbunden. Seit zehn Jahren teilt sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Tilmann Präckel die Pastorenstelle. Seit 2018 ist Pastor Christoph Schroeder ebenfalls in Nienstedten aktiv. „Es ist ein spiritueller Ort, der eine tiefe Ruhe ausstrahlt, die unsere Besucher schnell erfasst“, erzählt sie. Und es ist eine Gemeinde, die rasch auf die Bedürfnisse der Gläubigen reagiert.“

Große Unterstützung für Flüchtling

Als am 24. Februar der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann, trafen sich noch am selben Abend Menschen zu einem Friedensgebet. Seitdem sind unzählige Hände dabei, sich um Kleidung, Lebensmittel und Wohnungen zu kümmern. Auch im Gemeindehaus sind Räume hergerichtet worden, um einer Familie ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Regelmäßig treffen sich unter dem Dach der Kirchengemeinde Flüchtlinge und Unterstützer. Auch Eltern bekommen dort mal den Kopf frei, denn die Kinder werden in dieser Zeit extra betreut. Diese große Hilfe fußt auf Erfahrungen, die 2015 und folgende Jahre den Menschen zu Gute kamen, die aus dem Bürgerkrieg in Syrien nach Deutschland geflohen waren.

Die Hoffnung auf ein friedliches Leben baut in Nienstedten auf eine ganz alte Geschichte. Das heutige Gotteshaus ist der sechste Kirchenbau seit der ersten urkundlichen Erwähnung des „Kerspel Nigenstede“ im Jahr 1297. Die Gemeinschaft der Christen reichte damals von Ottensen im Osten bis Wedel/ Schulau im Westen, im Norden schloss sich Rellingen an. Zum Nienstedtener Kirchspiel gehörten damals die Dörfer Klein- und Groß-Flottbek, Osdorf, Lurup, Schenefeld, Dockenhuden, Mühlenberg, Blankenese, Tinsdal, Sülldorf und Rissen, dazu die Elbinseln Finkenwerder und Griesen- oder Goriswerder.

Bronzetaufkessel aus dem 13. Jahrhundert

Die Chronik der Kirche berichtet: Kirchspiele (Kerspele/Karkspele) waren Nachfolger der viel älteren vorchristlichen Thingspele und vereinigten alle Funktionen des öffentlichen Lebens; so wird auch Nienstedten bereits sehr früh als Kult- und Rechtsgemeinschaft von Bedeutung gewesen sein. Die Christianisierung des norddeutschen Raums durch Wanderprediger erfolgte um 800 n. Chr. Ziel ihrer Missionierung waren die alten Ansiedlungen, die Thingspele.

Über die Vorgängerkirchen ist wenig bekannt. Sie standen wahrscheinlich näher zur Elbe und waren Sturmfluten und Uferabbrüchen ausgesetzt. Für die Neubauten verwendete man das alte Material, was zwar wirtschaftlich war, aber auch eine leichte Bauweise bedeutete. Die Chronisten schreiben: „Die ältesten Abbildungen finden wir auf der Hamburger Elbkarte von Melchior Lorichs von 1568 und auf der Landtafel der Grafschaft Holstein-Pinneberg des Malers und Kartographen Daniel Frese von 1588. Das älteste, uns bekannte und noch erhaltene Relikt der Kirche ist ein Bronzetaufkessel aus dem 13. Jahrhundert. Dieser ging 1896 in den Besitz der Tochtergemeinde Blankenese über, als diese eine eigene Kirche baute. Heute besitzt die Kirche ein Bronzetaufbecken der Bildhauerin Ursula Querner aus dem Jahr 1967, auf dem der Zug der Israeliten durch das Rote Meer als Bezug zu Wasser und Errettung dargestellt ist.“

Pastorin Vera Lindemann an einem ihrer Lieblingsplätze: Hier werden gern Kerzen entzündet, aus Trauer, Liebe und Hoffnung
Pastorin Vera Lindemann an einem ihrer Lieblingsplätze: Hier werden gern Kerzen entzündet, aus Trauer, Liebe und Hoffnung

Aus dem Mittelalter besitzt Nienstedten noch einen Abendmahlskelch von 1420, der in ständigem Gebrauch ist, und ein Exemplar des 1509 gedruckten Messbuches für eine neue Gottesdienstordnung im Hamburger Domkapitel. Es wird heute im Hamburgischen Staatsarchiv aufbewahrt. 1529 setzte sich in Hamburg die Reformation durch, im Pinnebergischen Nienstedten durch einen protestantischen Prediger inoffiziell 1555, offiziell traten die Schauenburger Grafen Pinnebergs erst 1561 zum Protestantismus über.

Ein weiteres Relikt aus alter Zeit ist ein Altarrelief „Anbetung der Hirten“ aus einer Vorgängerkirche, datiert um 1600. Das Original befindet sich in Museumsbesitz im Schloss Gottorf in Schleswig; ein Gipsabdruck hängt seit dem 250-jährigen Kirchenjubiläum im Mai 2001 als Leihgabe des Altonaer Museums jetzt im Altarraum.

Der heutige Fachwerkbau wurde 1750/51 von hiesigen Handwerkern erstellt. Die Baugenehmigung erteilte Dänenkönig Frederik V., dessen Spiegelmonogramm unter einer Krone an der Westfassade, im Oberlicht der inneren Eingangstür und auf den Liednummerntafeln in der Kirche zu sehen ist. Ein Gesuch der Nienstedtener, ihre Kirche nach ihm zu benennen, wurde von dem Monarchen abgelehnt. „Land- oder Bauernkirchen waren des Namens eines Heiligen oder Königs nicht würdig“, erläutert Pastorin Vera Lindemann.

Zur Einweihung der heutigen Kirche am Sonntag Rogate, dem 16. Mai 1751, leitete Georg Philipp Telemann die Aufführung seine Kantate „Zerschmettert die Götzen“. Die Kirche besaß ursprünglich eine Arp-Schnitger-Orgel, 1680 für die Vorgängerkirche gebaut und in den Neubau übernommen. Durch mehrere Umbauten war sie aber Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr als solche erkennbar, und wurde 1906 durch einen Neubau der Firma Marcussen aus Apenrade ersetzt. Ende der 1990er-Jahre entschieden sich die Verantwortlichen der Gemeinde für ein Instrument der Firma Mühleisen aus Leonberg. Diese schöne Orgel, für die der alte Orgelprospekt des Hochkamper Architekten Fernando Lorenzen aus dem Jahre 1906 erhalten blieb, wurde im Festgottesdienst am 6. Mai 2001 eingeweiht.

Stolz sind das Pastorenpaar und ihr Kollege Pastor Schroeder heute auch auf die gute Akustikanlage in der Kirche. So können die Gäste im Gotteshaus gut den Predigten und Andachten folgen. Die moderne Technik erlaubte es Vera Lindemann und Tilmann Spräckel zudem während der von Abstand geprägten Zeit der Pandemie, Gottesdienste in Radioqualität nach Hause zu übertragen – ein Dienst, der auch in Zukunft allen zugute kommt, die den Weg in die Kirche nicht aus eigener Kraft bewältigen.

59. Nienstedtener Gesprächsabend: Globalisierung – was sie uns nimmt, was sie uns gibt mit Dr. Rüdiger Vossen, Donnerstag, 5. Mai 2022, 20 Uhr in der Kirche Nienstedten, Elbchaussee 410.

Festliche Musik am Sonntag Kantate. Am 15. Mai wird im Gottesdienst um 10 Uhr festliche Musik erklingen. Es singen Lisa Scheffler, Sopran, Kerrin Brinkmann, Mezzosopran, und Tilmann Präckel, Bass, begleitet von Günter Kochan an der Orgel und Almuth Kochan am Cello. Zur Aufführung gelangt von Dietrich Buxtehude „Cantate Domino“.

Ukraine-Treffpunkt für Geflüchtete und Gastfamilien: Seit Anfang März treffen sich im Gemeindehaus jeden Mittwoch von 10 bis 12 Uhr geflüchtete Ukrainer und Gastfamilien. Sie kommen miteinander ins Gespräch. Die Akteure versuchen, allen Unterstützung zu bieten, die neu zu uns gekommen sind. Auch die Familien, die sich mit großem Engagement um die geflüchteten Ukrainer kümmern, erfahren Hilfe.

Für weitere Informationen wenden sich alle gern an Diakon Kay Bärmann, kay.baermann@kirche-nienstedten.de, Telefon 0173/178 26 61 oder 040/432 67 466, kirche-nienstedten.de mra
 

Pastorat

Das heutige Pastoratsgebäude neben der Kirche an der Elbchaussee wurde 1888 als Doppelpastorat für die beiden Pastoren des Kirchspiels, die für die Bezirke Nienstedten und Blankenese zuständig waren, erbaut. Nach Verselbständigung des Blankeneser Kirchenbezirks wurde der östliche Gebäudeteil zum Gemeindehaus umgebaut. Heute sind auch Räume vermietet.

Friedhof

Zur Gemeinde gehört ein großer Friedhof zwischen Rupertistraße und Elbchaussee mit altem Baumbestand, auf dem sich neben vielen bekannten Namen aus Hamburgs Vergangenheit auch solche aus Künstler- und Schriftstellerkreisen finden. Ein Teil der wertvollen alten Grabdenkmäler ist zu besonderen Museumsbereichen zusammengefasst worden.

Weitere Artikel