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Das Buch als ideales Geschenk zum Fest, um es in der letzten Minute zu besorgen

Die Autoren Norbert Gstrein, Monika Helfer, Christian Kracht, Thomas Kunst, Mithu Sanyal und Antje Rávik Strubel sind mit ihren Werken Finalisten des deutschen Buchpreises 2021 Foto: vntr.media

Herrje, am Freitag ist Heiligabend, und es fehlen immer noch Geschenke. Bleiben Sie ganz entspannt! Bummeln Sie noch einmal durch die Buchhandlung in Ihrer Nähe. Dort finden Sie garantiert das passende Geschenk für jeden Charakter, denn nichts ist so vielfältig wie die Welt der Bücher. Wie wäre es mit einem Roman der sechs Finalisten des Deutschen Buchpreises 2021?

Die Jury hat die sechs Romane für die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2021 ausgewählt: Antje Rávik Strubel: Blaue Frau (S. Fischer, August 2021), Mithu Sanyal: Identitti (Carl Hanser, Februar 2021), Thomas Kunst: Zandschower Klinken (Suhrkamp, Februar 2021, Christian Kracht: Eurotrash (Kiepenheuer & Witsch, März 2021), Monika Helfer: Vati (Carl Hanser, Januar 2021) und Norbert Gstrein: Der zweite Jakob (Carl Hanser, Februar 2021)

Jurysprecher Knut Cordsen, Kulturredakteur beim Bayerischen Rundfunk sagt: „Diese sechs Finalistinnen und Finalisten zeigen den stilistischen, formalen und thematischen Reichtum der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und zeugen von der immensen Lust und hohen Könnerschaft, Geschichten zu erzählen. Darüber hinaus reflektieren alle nominierten Titel das eigene Schreiben, loten seine Möglichkeiten und seine Grenzen aus. Es sind künstlerisch herausragende Romane, die bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Topoi und Schreibweisen eines vereint: Sie sind alle auf je eigene Weise ausgezeichnet und haben jeder für sich die Jury überzeugt.“

Kommentar der Jury zu Gstrein: Erzählen ist bei Norbert Gstrein immer auch Nachdenken über das Erzählen, seine notorischen Unzuverlässigkeiten, seine unvermeidlichen Leerstellen. In seinem neuen Roman ist ein Schauspieler anlässlich seines 60. Geburtstags gezwungen, sich selbst und seiner Tochter Rechenschaft abzulegen und das Stationendrama seiner Biografie in eine finale Fassung zu bringen. Auf meisterhafte Weise demonstriert der Roman, wie sich die Komplexität eines Lebens, das geprägt ist von Scheitern, Scham und Schuld, einem simplen Plot verweigert. Mit „Der zweite Jakob“ hat Norbert Gstrein seine virtuose Erzählkunst noch einmal auf eine höhere Stufe gehoben.

Das meint die Jury über Monika Helfer: Kein Wort zuviel findet sich in Monika Helfers Roman „Vati“, eine Annäherung an das Leben des Vaters der Autorin. Eine Recherche über die Möglichkeit, Leben zu erzählen und Herkunft zu begreifen – die auch die Initiation einer Autorin beschreibt. Als der Vater versehrt aus dem Krieg zurückkehrt, lernt er die Mutter kennen und wird Leiter eines Versehrtenheims in den Bergen. Dort sammelt er Bücher, lebt mit und für sie. Aber bereits hier zeigt sich, was sich nach dem Tod der geliebten Frau ausprägt: eine große Abwesenheit, ein umfassendes Schweigen, das auch das Leben der Kinder prägt. Ein Buch von zärtlicher Traurigkeit – in dem Gefühl und sprachliche Klarheit vollständig ausgewogen sind.

Die Jury über Christian Kracht: Hielt man sich in „Faserland“ die Welt mit ölimprägnierten Jacken vom Leib, wird hier der Wollpullover zum fadenscheinigen Dingsymbol. Denn von Verstrickungen bis zurück ins dunkelste Kapitel deutscher Geschichte handelt Christian Krachts herausragender Roman. „Eurotrash“ ist ein raffiniertes, ein tragikomisches und mitunter überraschend zart erzähltes Stück autofiktionaler Erinnerung, das die psychologischen Feinheiten einer Mutter-Sohn-Beziehung ergründet und dabei familiäre Schattenwelten aufsucht, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart ragen. Dem Autor gelingt das seltene Kunststück, eine komplexe literarische Poetik in stilistischer Virtuosität zum Leuchten zu bringen.

Die Bewertung von Thomas Kunst: Bengt Claasen verschlägt es aus einer Lebenskrise in ein nordostdeutsches Provinznest. Dort trotzen Menschen mit aufsässigen Fantasien einer ihnen nicht wohlgesonnenen Realität. Sie haben ihr Dorf zu Sansibar, ihren Teich zum Ozean umfantasiert, strukturieren ihre Gegenwelt mit hinreißend absurden Ritualen. „Zandschower Klinken“, oft einprägsam wie Musik, verströmt Freiheit auch durch seine formale Radikalität. Politisch aufgeladen, bricht es zugleich mit jeder Diskursschwere, weil es sich im Spiel mit Wirklichkeit und Sprache keine Grenzen aufzwingen lässt. Eine bittere, märchenhaft verschlüsselte Familiengeschichte kontrapunktiert den Ausstieg in die Utopie, und dennoch: Dieses Buch lässt einen freier atmen.

Die Jury über Mithu Sanyal: „Identitti“ ist eine Quadratur des Kreises: ein enorm vergnüglicher, hochenergetischer Diskursroman, bei dessen Lektüre viel zu lernen ist und der dabei grandios unterhält. Mit leichter Hand erzählt Sanyal von der Bloggerin Nivedita, Studentin an der Düsseldorfer Uni, die ein Skandal durchschüttelt: Starprofessorin Saraswatis indische Herkunft ist fake! Ohne jeden Hang zum Denunzieren zeigt der Roman die verschiedenen, unversöhnlich scheinenden Positionen – in Dialogen, Blogeinträgen, fiktiven Tweets realer Zeitgenossen – und so gelingt es ihm, gerade in den verfahrensten Debatten wieder Freude am Austausch und der Beweglichkeit im Kopf zu entfachen.

Das meint die Jury: Antje Rávik Strubel erzählt aufwühlend in einem großen Spannungsbogen von den Gewalterfahrungen einer jungen Frau im heutigen Europa. Adina kommt aus einem Dorf in Tschechien, ihr Weg führt sie über Berlin in die Uckermark. Nach der Vergewaltigung durch einen einflussreichen Multiplikator der europäischen Kulturpolitik flieht sie nach Helsinki und ins innere Exil. Ein Ost-West-Roman, ein Europaroman, eine Geschichte über Machtmissbrauch, meisterhaft in der Verflechtung der Handlungsstränge und in der atmosphärischen Darstellung finnischer Landschaft. Eine Figur mit mythischen Zügen – die blaue Frau – verbindet das Erzählte mit der Ebene der Erzählerin und macht so den Roman auch zum Roman über das Schreiben selbst.

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