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Menschlich

Gesundheit? Ein Recht für alle!

Die Eltern von Nico Neumann machen sich Sorgen. Seit mehreren Monaten leidet der junge Mann mit einer komplexen Behinderung an Fieberschüben. Immer wieder, manchmal sind es über 40 Grad. Doch der Hausarzt ist ratlos, auch ein Krankenhausaufenthalt bringt keine Klarheit

Im Sengelmann Institut für Medizin und Inklusion kümmert sich ein interdisziplinäres Team um die Patienten Foto: Bertram Solcher
Im Sengelmann Institut für Medizin und Inklusion kümmert sich ein interdisziplinäres Team um die Patienten Foto: Bertram Solcher
Das Herz? Ist es nicht. Familie Neumann (Name geändert) wird empfohlen, den 23-Jährigen im Sengelmann Institut für Medizin und Inklusion (SIMI) am Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf vorzustellen. Chefarzt Dr. Georg Poppele hat eine Vermutung: Bei Menschen mit einer Behinderung, wie dieser Patient sie hat, ist häufig der Schluckvorgang gestört. Die Folge: Speisereste rutschen in die Luftröhre, gelangen in die Lunge und können eine Entzündung verursachen – die Mediziner sprechen von Aspirationspneumonie. Eine Schluckuntersuchung bestätigt den Verdacht: Tatsächlich gelingt es dem jungen Mann nicht immer, das Essen vollständig zu schlucken. Logopädin Kathrin Westphal untersucht gemeinsam mit Dr. Poppele den Patienten und empfiehlt, ihm breiartige Speisen zu geben und das Schlucken zu trainieren. Schon nach kurzer Zeit zeigt sich, dass die Therapie erfolgreich war. Die Fieberschübe treten kaum noch auf, Nico Neumann ist meist beschwerdefrei.

Interdisziplinäres Konzept

Drei Jahre nach Eröffnung des Sengelmann Instituts für Medizin und Inklusion (SIMI) gilt als gewiss, dass das Spezialangebot für erwachsene Menschen mit einer komplexen Behinderung notwendig und sinnvoll ist. Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte arbeiten dabei eng zusammen. Das interdisziplinäre Konzept hat sich bewährt und ist Vorbild für andere Projekte. So wurde das Institut 2016 mit dem MSD-Gesundheitspreis für innovative Versorgungsprojekte ausgezeichnet und im selben Jahr würdigte Hamburgs Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen, Ingrid Körner, es als „Wegbereiter der Inklusion“ und Leuchtturmprojekt.

„Das SIMI ist ein großer Fortschritt in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit komplexen Behinderungen“, sagt Ulrich Scheibel, Vorstand der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Doch das SIMI allein reicht nicht aus, um insbesondere die wohnortnahe Versorgung sicherzustellen. Denn die Barrieren bei niedergelassenen Haus- und Fachärzten sind nach wie vor hoch – angefangen bei räumlichen Barrieren wie Treppen oder zu engen Behandlungsräumen über Schwierigkeiten in der Kommunikation bis hin zu fehlendem Spezialwissen bei seltenen Erkrankungen oder Behinderungen.

Kompetenznetz in Hamburger Stadtteilen

Deshalb hat die Evangelische Stiftung Alsterdorf nun das Projekt gesundheit 25* initiiert. Mit Förderung durch Aktion Mensch wird in drei Hamburger Quartieren – Altona-Altstadt, Barmbek-Nord und Bergedorf – ein Kompetenznetz aus Medizinern, Therapeuten, der Eingliederungshilfe und weiteren Akteuren aufgebaut. Außerdem arbeitet das Team von gesundheit 25* daran, die Überstellung von Patienten aus einer Wohngruppe ins Krankenhaus und wieder zurück zu verbessern. „Wir unterstützen Mitarbeitende in den Bereichen Medizin, Pflege und Pädagogik dabei, Verständnis füreinander zu entwickeln“, sagt Projektleiterin Birgit Pohler.

Die 25 im Namen des Projekts bezieht sich übrigens auf Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention, der bestimmt, dass Menschen mit Behinderung wie alle anderen das Recht auf gesundheitliche Versorgung haben – und darüber hinaus auf für sie speziell notwendige Versorgung. Das SIMI und gesundheit 25* tragen dazu bei, dass dies Wirklichkeit wird.

Weitere Infos:
www.simi-alsterdorf.de und www.gesundheit25.de

Neue App erleichtert die Arztsuche

Passt das? Ärztin Christine Neumann-Grutzeck, Vorstand der Ärztekammer Hamburg, und Karen Müller von der Patienten-Initiative (r.) messen die Höhe einer Praxis-Liege aus
Passt das? Ärztin Christine Neumann-Grutzeck, Vorstand der Ärztekammer Hamburg, und Karen Müller von der Patienten-Initiative (r.) messen die Höhe einer Praxis-Liege aus
Wie barrierefrei eine Arztpraxis ist, konnte man bisher vor dem Arzttermin nicht wissen, da es keine verlässlichen Informationen dazu gab. Das ändert sich jetzt. Mit der neuen App „Plan B“ ist es möglich, fast 100 Hamburger Arzt- und Zahnarztpraxen nach Kriterien der Barrierefreiheit zu filtern. So können Menschen mit motorischen Einschränkungen und speziell Rollstuhlfahrer, Kleinwüchsige, Blinde und Sehbeeinträchtigte, Gehörlose und Hörbeeinträchtigte oder Menschen mit Lernschwierigkeiten mit wenigen Klicks herausfinden, welche Praxis für sie geeignet ist. Dafür haben die Patienten-Initiative und die Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen (KISS Hamburg) des Paritätischen Hamburg in den vergangenen zwei Jahren mit Finanzmitteln der AOK Rheinland/Hamburg die Praxen auf ihre Barrierefreiheit untersucht. Auch die Gesundheitsbehörde hat das Projekt unterstützt. Cornelia Prüfer-Storcks, Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz: „Im Alltag finden sich auf dem Weg zum Arzt, ins Krankenhaus oder zum Physiotherapeuten oft zahlreiche Barrieren, die gerade für Menschen mit Beeinträchtigungen eine Herausforderung sind. Die Einführung und Umsetzung einer flächendeckenden Barrierefreiheit in Arztpraxen stellt eine große Aufgabe dar, die nicht beim Zugang zur Praxis endet, sondern ebenfalls einen barrierefreien Kommunikations- und Informationsfluss umfasst. Mit der App ‚Plan B‘ wird ein weiterer Schritt hin zu einem inklusiven Gesundheitssystem gemacht. Ich hoffe auf eine rege Beteiligung seitens der Hamburger Ärztinnen und Ärzte.“

Die neue App steht unter dem Link https://planb.hamburg für alle Geräte kostenlos zur Verfügung. Weitere Praxen sollen kontinuierlich hinzukommen.

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